Die Traenen des Mangrovenbaums
Halbbruder nur ja nicht erlauben, irgendwelche Maßnahmen zu treffen. Es war nur ein schwacher Trost, dass Simeon, wie ihm die Antwort-Telegramme versicherten, nichts dergleichen tat, sondern es sich als Gast irgendeines reichen Javaners gut gehen ließ. Godfrid tat es im Herzen weh, daran zu denken, in welchem Zustand die Plantage Buitenhus inzwischen sein musste – verseucht, vernachlässigt, verdorrt. Erfahrene Mitreisende hatten ihm erzählt, dass die nächste Regenzeit alles ruinieren würde, was jetzt noch zu retten gewesen wäre. Im Oktober würde die Regenzeit beginnen – wie sollte er in knappen sechs Wochen die Plantage wieder auf die Beine bringen?
Er ahnte nicht, wie viel Ärger ihm dadurch erspart blieb, dass er erst nach Herrn Raharjos Tod in Java anlangte. Wäre er vorher schon als Herr von Buitenhus aufgetreten, so hätten ihn die nach Rache dürstenden Anhänger des jungen Adeligen mit großer Wahrscheinlichkeit für den Mörder oder jedenfalls einen Mitwisser des Mordes gehalten, und Godfrid Brägens’ Leben hätte ein rasches, qualvolles Ende genommen.
Kaum hatte er festen Boden unter den Füßen, begab er sich zum Kontaktmann der Firma Vanderheyden in der Bank und verlangte, zu der Plantage geführt zu werden. Er dachte nicht daran, sich irgendwelchen Einheimischen anzuvertrauen, die ihn am Ende noch ausrauben würden, sondern wollte ehrliche holländische Männer als Begleitschutz. Da die Firma Vanderheyden seit langen Jahren ein guter Kunde war, wurde alles wunschgemäß arrangiert. Einen Tag nach seiner Ankunft im Land war Godfrid Brägens in Buitenhus.
Niemand hatte gewusst, wo die Schlüssel abgeblieben waren, also blieb ihm das Haus verschlossen, aber das konnte ihn nicht von seinem Vorhaben abbringen. Er ignorierte auch die gelbe Pestflagge, die immer noch über dem Tor hing, schwang sich über die Mauer und stapfte durch das kniehohe Unkraut hinein, während seine gedungenen Begleiter draußen warteten. Mehr als einmal stieß er einen herzhaften Fluch aus, als er den jämmerlichen Zustand der Plantage vor sich sah: die vom Urwald halb überwucherten Arbeitsschuppen und Baracken, die allgegenwärtigen, kreischenden und zudem reichlich angriffslustigen Affen, die Buitenhus inzwischen als ihr rechtmäßiges Eigentum betrachteten, die ruinierten Kaffeepflanzen. Das Haus war versperrt; er konnte nur rundherum gehen und durch die staubblinden Fenster im Erdgeschoss hineinspähen. Wahrscheinlich, dachte er, hatten die braunen Lumpen inzwischen alles gestohlen, was nur einigermaßen das Stehlen wert war, aber das war jetzt nicht sein größtes Problem. Als Erstes musste er die Pflanzung wieder in Schwung bringen, das Haus konnte warten.
Bei seinem Kontrollgang entlang der Mauer entdeckte er mit heftigem Schrecken Grausiges: Hoch in den Ästen eines Baumes hingen, sodass sie von jenseits der Mauer gut sichtbar waren, an Stricken mehrere abgetrennte Arme und Beine. Der heiße Wind hatte sie getrocknet wie Dörrfleisch, daher konnte Godfrid nicht erkennen, ob sie vom Trocknen geschwärzt oder schon zu Lebzeiten von schwarzer Hautfarbe gewesen waren. Was sonst noch zu den Körpern gehört hatte, war wohl zu Boden gefallen oder von den Affen abgerissen worden, und Aasfresser hatten sich der Beute bemächtigt, denn im hohen Unkraut unter dem Baum lagen verstreute menschliche Knochen, dazu ein Paar Stiefel, ein zerfetzter Tropenhelm und zwei von schwarzbraunen Flecken durchtränkte Jacken.
Godfrid blieb stehen, als er das sah, er blies unwillkürlich die Backen auf und stieß pfeifend die Luft aus, aber er fasste sich rasch wieder. Was immer hier geschehen war, ging ihn nichts an, es musste stattgefunden haben, als Wolkins bereits verstorben und die Plantage verlassen war.
Er überlegte, ob er sich die Mühe machen sollte, das nahe gelegene Haus aufzusuchen, in dem die Vanderheydens jetzt lebten, entschied sich aber dagegen. Was wollte er dort? Mitzureden hatte Simeon ohnehin nichts; er war es, Godfrid, der die Vollmacht des Vaters in der Tasche trug, und interessieren würde es seinen Halbbruder auch nicht, was er für Pläne mit Buitenhus hatte. Er begnügte sich damit, der Höflichkeit Genüge zu tun und eine Botschaft zu schicken: Er sei jetzt im Lande, er würde sich um Buitenhus kümmern und auch dort wohnen, und wenn Simeon irgendetwas mit ihm zu besprechen hätte, könnte er ihn ja aufsuchen.
Er bekam am nächsten Tag eine in freundlichem Ton gehaltene Nachricht zurück: Alle
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