Die Traenen des Mangrovenbaums
und der europäische Musikgeschmack sich dramatisch voneinander unterschieden. In ihren Ohren machte das vielstimmige Orchester einen Höllenlärm, dem nicht einmal eine Melodie zu entnehmen war. Besser gefiel ihr das Puppentheater, das im Schatten der Banyan-Bäume am Rand der Festwiese aufgebaut war. Flache Lederpuppen, die durch gespaltene Bambusstäbe gehalten wurden, die traditionellen Wayang-Figuren, stellten auf der kleinen Bühne Szenen aus der Mythologie und Geschichte dar. Beim Betrachten des Schauspiels wurde das Ehepaar getrennt, denn nach der Tradition saßen die Männer auf der Seite der Leinwand, auf der neben dem Dalang – dem Schattenspieler – auch das Gamelan-Orchester saß, und zwar auf der Vorderseite, von der aus man die vielfach durchbrochenen und in traditionellen Farben bemalten Figuren vor dem Vorhang betrachtete. Die Frauen mussten hinter dem Vorhang Platz nehmen und sahen daher die Wayang-Vorführung als Schattenspiel. Es gab Gaukler und Sänger, es gab offene Herde, auf denen in riesigen Pfannen die Reisgerichte schmorten, es gab das übliche fröhliche Durcheinander festlich gekleideter Menschen.
Dennoch schien die Hochzeitsfeier unter keinem günstigen Stern zu stehen. Lag es an der stickigen Schwüle, dem schwachen Schwefelgeruch in der Luft oder der Anwesenheit böser Geister, die nicht hinreichend gebannt worden waren – es wollte keine rechte Stimmung aufkommen.
Unterdessen taten Simeon und Godfrid ihr Bestes, höflich und sogar freundlich zueinander zu sein. Beide schienen das Gefühl zu haben: Wenn sie jetzt den familiären Angelegenheiten einen Nachmittag opferten, konnten sie einander mit gutem Gewissen für längere Zeit aus dem Wege gehen. Anna Lisa wiederum hatte mit einem persönlichen Problem zu kämpfen: Seit einigen Tagen war ihr häufig übel. Das mochte mit dem nahenden Ende der Trockenzeit und dem besonders unangenehmen Klima der Übergangszeit zwischen Trocken- und Regenzeit jetzt im September zu tun haben, aber sie selber war fest überzeugt, dass sie die ersten Anzeichen einer Schwangerschaft spürte.
Deshalb lehnte sie auch ab, als eine hübsche junge Frau, die mit einem Korb voll süßer Klößchen herumging, ihr davon anbot. Der bloße Gedanke an etwas Süßes drehte ihr den Magen um. Godfrid und Simeon, die ins Gespräch vertieft nebeneinander hergingen, griffen jedoch herzhaft zu. Anna Lisa fühlte sich schwindlig und matt, und plötzlich schien ihr die Szene vor den Augen zu verschwimmen. Hatte der Schwindelanfall sie getäuscht, oder hatte sie tatsächlich gesehen, dass die junge Frau Simeon keinen von den Klößen im Korb reichte, sondern einen aus ihrem weiten Ärmel hervorrollen ließ und mit taschenspielerischer Geschicklichkeit auffing? Sie wollte etwas sagen, aber ein Würgen erstickte ihre Stimme. Edgar Zeebrugge, der ihren Schwächeanfall bemerkte, eilte herbei und führte sie zu einer Bank im Schatten der Bäume; auf seinen Wink brachte ein Diener ein Glas mit Wasser und einem Schuss Genever.
»Hier, trinken Sie.« Er stützte sie liebevoll. »Sie haben sich zu lange in der Sonne aufgehalten. Wollen Sie sich ein wenig niederlegen?«
Anna Lisa trank in kleinen Schlucken. Allmählich fühlte sie sich besser. »Ich glaube, es geht schon wieder«, sagte sie. »Ich dachte nur … diese Händlerin mit den süßen Klößen … sie gab Simeon einen Kloß, den sie im Ärmel versteckt hatte. Jedenfalls bilde ich mir ein, das gesehen zu haben. Eine junge, hübsche Frau in einem roten Kleid mit einem golddurchwirkten Kopfschleier.«
Zeebrugge sah sie ein wenig zweifelnd an, dann stand er auf und machte die Runde durch das lärmende Gewühl, kam aber mit der Nachricht wieder: »Ich habe keine solche Frau gesehen. Aber das hat nichts zu bedeuten; wahrscheinlich hat sie alle ihre Klöße verkauft und ist heimgegangen. Zu solchen Festen kommen oft Frauen aus der Nachbarschaft und bringen Selbstgekochtes und -gebackenes mit.«
Anna Lisa nickte. Sie hatte sich wohl doch etwas eingebildet. »Wenn es Ihnen recht ist«, sagte sie, »lege ich mich ein wenig nieder. Der Lärm und der Trubel hier sind sehr anstrengend, und ich …« Unwillkürlich legte sie die flache Hand auf den Bauch.
Der Mann starrte sie an, dann lächelte er. Beide Vanderheydens hatten ihm erzählt, wie sehnsüchtig man in Amsterdam und Hamburg auf einen Enkel wartete, und so sagte er: »Sie meinen, Sie können bald nach Hause telegrafieren?«
Anna Lisa errötete. Sie hatte ihre
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