Die Traenen des Mangrovenbaums
sehen!«
Sie lachte und entnahm ihrem mit Jettperlen bestickten Retikül ein Ledertäschchen. Darin steckte die Fotografie des Mannes, der jetzt offiziell ihr zukünftiger Gatte war. Alle drei Mädchen griffen gleichzeitig danach. Neugierige Augen bohrten sich in das sepiabraune Papier. Dann brach zwitscherndes Gelächter los.
»Hu, wie dünn er ist! Gibt es in Holland denn nichts zu essen? Eure Köchin wird den mageren Hering erst ordentlich auffüttern müssen!«
»Ich finde, er sieht gut aus. Was er für schönes Haar hat! So lang und weich. Ist es dunkelbraun oder schwarz?«
»Und die Augen! Ach, sieht er nicht aus wie der italienische Tenor, der im Winter hier gastierte und den Lohengrin sang? Der hatte auch so wunderschöne, große dunkle Augen.«
Dörte, die als Einzige die Fotografie schon vorher gesehen und den Dargestellten kritisiert hatte, schüttelte erneut den Kopf. »Ich weiß nicht. Es stimmt, er hat schöne Augen, aber sein Blick gefällt mir nicht. Leute, die Opium nehmen, sehen so aus.«
Die anderen protestierten. Allgemein war man der Ansicht, dass Vater Lobrecht eine gute Wahl getroffen hatte. Anna Lisa, die sich doch selbst schon Gedanken über das Aussehen ihres Zukünftigen gemacht hatte, widersprach Dörte mit aller Heftigkeit. »Mein Vater weiß genau, was er tut. Nie würde er einen Mann für mich auswählen, der Opium nimmt, und auch keinen, der verrückt ist. Viele Leute schneiden komische Gesichter, wenn sie zum Fotografieren so lange still stehen müssen. Ich bin sicher, dass er ganz normal und vernünftig ist. Mein Vater kennt seinen Geschäftsfreund doch schon seit Jahren.«
»Jemand als Geschäftsfreund zu kennen, heißt noch nicht, dass man über seine persönlichen Angelegenheiten Bescheid weiß, noch weniger über die seiner Familie. Aber ich will dich nicht kopfscheu machen. Dein Vater ist ein kluger Mann; er hat sicher die beste Wahl für dich getroffen.«
Es klang tröstend, und gerade weil es tröstend klang, machte es Anna Lisa ein wenig Angst, ihre Freundin so reden zu hören. Entschlossen schüttelte sie die Beklemmung ab, die sie bei den Worten ergriffen hatte. »Ach was, du siehst überall Schatten und Gespenster! – Übrigens werden wir nach Java fahren.«
»Nach Java!«
»Ja, mein Mann wird dort eine der Plantagen leiten, auf denen der Kaffee seines Vaters wächst. Sie heißt Buitenhus und liegt in der Nähe von Batavia.«
Georgina bemerkte: »Da wirst du immer einen Sonnenschirm brauchen, ich habe gehört, dass die Sonne in Java sehr heiß brennt. Viele Europäer werden krank davon. Aber du kannst ja die Läden schließen und dich in dein kühles Schlafzimmer legen, bis die Sonne untergegangen ist.«
Frida, die vierte in der Runde, prustete hinter der vorgehaltenen Hand. »Schade, dass dein Mann den ganzen Tag arbeiten muss, sonst könnte er sich über Mittag immer zu dir legen.«
Allgemeines Gekicher folgte. Da sie unter sich waren, widmeten sie sich ausgiebig dem Thema, das sie wie alle heiratsfähigen jungen Mädchen am meisten interessierte. Freilich waren sie zu gut erzogen, um geradeheraus darüber zu sprechen, was Anna Lisa an ehelichen Pflichten erwartete. Sie wussten auch nur halb Bescheid. Ihre Köpfe und Herzen waren voll von zweideutigen Warnungen besorgter Mütter und biblischen Drohungen mit dem Höllenfeuer für Unkeuschheit, von dumpfen, schwülen Gelüsten und einer brennenden Sehnsucht nach der romantischen Liebe, die die Langeweile und Leere ihres Lebens allein zu verwandeln vermochte. Also kicherten und gicksten sie durcheinander, erröteten und hielten die Hand vor den Mund, machten einander Vorwürfe: »Pfui, wie kannst du so etwas sagen! Das ist unanständig!« und gackerten von Neuem los.
Anna Lisa spielte verlegen mit dem Blumensträußchen, das sie an die Schulter ihres Kleides gesteckt hatte. Die Bemerkungen ihrer Freundinnen waren ihr peinlich, aber sie waren die einzige Möglichkeit, überhaupt von Dingen zu sprechen, von denen ihr Herz und Mund übergingen. Wen konnte sie, die keine Mutter mehr hatte, denn fragen? Ihre ehelosen Tanten wollten von dem Thema nichts wissen. Elsa scheute sich, der Tochter ihres Herrn Flöhe ins Ohr zu setzen, die ihr vielleicht dessen Missfallen zuzogen. Und ansonsten gab es nur Männer im Haus. Was Anna Lisa an Informationen erhielt, erschöpfte sich in dem Satz: »Das ist Sache deines Mannes; der weiß schon, was zu tun ist. Überlass alles ihm.«
Aber wenn sie es war, die von dieser
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