Die Traenen des Mangrovenbaums
war eben so, und zwar auf allen Seiten. Auch ein einheimischer Mann, der Gefallen an einer Europäerin fand, war ein Pechvogel. Niemals würde man ihm diese Liebe gestatten. Die Europäer empfanden es als eine Beleidigung, dass einer aus dem Kolonialvolk sich in ihre Reihen drängen wollte, und für die Javaner galt Adat 1 , das Gewohnheitsrecht, das die Heirat mit einer fremden Frau verbot, sei sie nun Europäerin, Afrikanerin oder Chinesin. Überhaupt seien die Moralgesetze auf der Insel sehr eigenartig. Selbst der Verkehr der Kolonialvölker untereinander war streng geregelt. Ein Deutscher durfte sich mit einer deutschen Frau unterhalten, solange sie dabei nicht den Eindruck erweckten, »sich in dunklen Ecken herumzudrücken«. Mit einer Holländerin oder Engländerin hätte man ihn schon schief angesehen, und die Portugiesen, die entmachteten Kolonialherren, standen auf den untersten Sprossen der gesellschaftlichen Stufenleiter, verhasst bei den Einheimischen, verachtet von den erfolgreicheren Eroberern.
Die betrogenen Frauen konnten sich also nicht rächen, und sie konnten auch nicht davonlaufen und sich scheiden lassen, denn eine alleinstehende Frau war auf Java noch viel mehr als in Europa ein gesellschaftliches Nichts. Niemand respektierte sie, niemand achtete auf sie.
Noch viel schlimmer als den Weißen erging es den Frauen der Einheimischen. Sie standen in der allgemeinen Wertschätzung kaum höher als Nutztiere, auch wenn sie aus einem reichen Haus kamen. Die Familie kaufte dem Sohn – der auch nicht gefragt wurde – eine nach Ansicht der Eltern passende Frau, die für ihn kochte, putzte und ihm Kinder gebar. In dem islamischen Land war die Vielehe erlaubt, reiche Leute kauften ihren Söhnen daher mehrere Frauen, für die Armen gab es nur eine, aber alle teilten dasselbe Schicksal als Sklavinnen ihrer Gatten.
Anna Lisa fühlte, wie der Groll in ihr aufstieg, als Dörte ihr mit süffisantem Lächeln den Teufel dieses zukünftigen Daseins an die Wand malte. Das sollte Simeon nur wagen, sie so schlecht zu behandeln! Aber im Grunde wusste sie trotz ihrer siebzehn Jahre bereits, dass sie rein gar nichts dagegen tun konnte, wenn er es dennoch tat. Viele junge Frauen bekamen altersschwache, bösartige oder ausschweifende Männer an den Hals gehängt und konnten sich nicht dagegen wehren. Gewiss, es gab inzwischen die Möglichkeit einer zivilen Scheidung, aber die durchzusetzen war schwierig, und was hatte eine Frau schon davon? Von den Kirchen wurde sie als Sünderin gegeißelt, von der Familie verachtet, und wovon sie ohne die Zuwendungen ihres Mannes leben sollte, wusste sie zumeist auch nicht.
Anna Lisa spürte, wie eine dumpfe Angst ihr Herz umklammerte.
»Sie sind da, Fräulein, sie sind da! Und ich habe den jungen Herrn schon gesehen!« Das Dienstmädchen Mette steckte die Nase durch die einen Spaltbreit geöffnete Tür und sprudelte die Neuigkeit so hastig hervor, dass sie sich beinahe verschluckte. »Der Wagen ist gerade vorgefahren! Sie sind ausgestiegen, und der junge Herr sieht wirklich sehr hübsch aus, er wird Ihnen gefallen …«
»Schon gut, schon gut! Mach hier kein solches Theater.« Anna Lisa winkte dem aufgeregten Dienstmädchen, sich zurückzuziehen, überlegte es sich dann jedoch anders. »Wenn sie schon da sind, wird mich mein Vater bald rufen lassen – komm, ich will mich gleich zurechtmachen, damit er nicht warten muss.«
Mette huschte herbei. Ihr rundes Gesicht glühte in einer Aufregung, als sei sie selbst es, die mit dem jungen Holländer verlobt werden sollte. Unter den Dienstboten waren die Liebesgeschichten und Heiratssachen der Herrschaften immer schon das Thema Nummer eins gewesen. Es gab nichts Schöneres, als aus der Perspektive von Küche und Hintertreppe zu beobachten, wie sich Romanzen, Komödien und auch Tragödien zwischen den Herren und Damen abspielten. Während das Mädchen Hand anlegte, um Anna Lisa zu frisieren und ein geeignetes Kleid auszusuchen, schwatzte sie unablässig. Die holländischen Gäste waren kaum durch die Tür verschwunden, da hatte die Dienerschaft schon deren Kutscher ins Verhör genommen, aus dem sich – anders als die hochnäsigen Kammerdiener – leicht ein paar Brocken Information herausquetschen ließen. Daher wusste Mette auch genauestens Bescheid darüber, dass Simeon ein »feiner junger Herr« war, der höflich mit den Bediensteten umging und nicht mit Trinkgeldern sparte, dass er sich immer sehr vornehm und sittsam betrug,
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