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Die Traenen des Mangrovenbaums

Die Traenen des Mangrovenbaums

Titel: Die Traenen des Mangrovenbaums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne de Witt
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wenn sie jemanden zu ihren Freunden zählt.«
    Anna Lisa lag es auf der Zunge zu fragen: Und wenn sie jemanden nicht mag? Aber sie fand es klüger, die Frage zu unterdrücken. Ein wenig unbehaglich wandte sie sich der Hündin zu. Die klugen Bernsteinaugen betrachteten sie mit einem Blick, der zu besagen schien: Weil er es will, mag ich dich, denn sein Wille ist mein Gesetz. Ob ich dich um deiner selbst willen mag, werden wir noch sehen.
    »Wir hatten nie Hunde«, erklärte sie entschuldigend. »Ich habe also nicht viel Erfahrung mit ihnen.« Dann fügte sie lächelnd hinzu: »Aber wenn Tietjens Ihre Freundin ist, dann ist sie auch die meine.«
    »Das ist gut«, erwiderte er mit einem Ernst, bei dem es wie ein kalter Windhauch über sie hinging. »Wir müssen zusammenhalten, auf Gedeih und Verderb, und jetzt gehören Sie auch zu uns. – Wissen Sie Bescheid darüber, dass man uns nach Java abschieben wird?«
    »Abschieben? Was für ein Wort, Mijnheer! Ich hörte, dass Sie die Plantage Ihres Vaters dort leiten werden.«
    »So!«, erwiderte er, blieb stehen und wandte sich ihr zu, einen Ausdruck auf dem Gesicht, der ihr keimendes Unbehagen verstärkte. »Hörten Sie das? Man hat Sie belogen. Ich möchte, dass Sie Klarheit gewinnen, ehe Sie die Ringe mit mir tauschen. Mein Vater wird es mir zweifellos übel nehmen, aber Sie sollen nicht hinters Licht geführt werden – nicht von mir. Hören Sie mir zu, und unterbrechen Sie mich nicht.«
    Er schritt langsam weiter, dicht begleitet von Tietjens, deren Kopf die Höhe seiner Hüfte erreichte. »Ich bin meinem Vater zutiefst verhasst. Schon seit meiner Geburt, glaube ich, auf jeden Fall aber, weil ich eine bittere Enttäuschung für ihn bin. Er lebt für sein Geschäft, aber ich sehe keinen Sinn darin und finde kein Vergnügen daran, Kaffee abzuwiegen und den täglichen Aktienkurs für das Pfund zu studieren. Mich hat von Kind auf die Botanik interessiert. Sie wissen, was das ist?«
    Leicht verärgert, dass er sie für so ungebildet hielt, erwiderte sie: »Aber gewiss. So nennt man die Wissenschaft von den Pflanzen.«
    »Das stimmt. Es ist inzwischen eine sehr komplizierte Wissenschaft mit vielen Seitenzweigen geworden, von denen mich das Anlegen von Herbarien am meisten interessiert. Ich bin ein guter Zeichner und Kupferstecher und liebe es, der natürlichen getrockneten Pflanze auf dem Herbarbogen ein künstlerisch gestaltetes Gegenstück hinzuzufügen. Ich beschäftige mich intensiv damit, sehr zum Ärger meines Vaters, der dies für eine törichte Spielerei hält, eines Mannes unwürdig. Kaffee interessiert mich nur insoweit, als der Kaffeestrauch ebenfalls zu den Pflanzen zählt; der gesamte Kaffee handel kann mir gestohlen bleiben.« Mit einem sardonischen Lächeln, das seinem schönen Gesicht jäh einen unheimlichen Ausdruck verlieh, fügte er hinzu: »Das ist in seinen Augen ein schweres Verbrechen – eine Verletzung meiner Sohnespflichten, die ihm das Recht gibt, mich zu verstoßen. Natürlich nicht vor dem Gesetz. Ich bin und bleibe sein ehelicher Sohn und rechtmäßiger Erbe. Aber er kann meinen Anblick nicht ertragen, er schämt sich für mich, weil die anderen Händler über mich spotten, und so ist er auf den Gedanken verfallen, mich nach Java zu schicken. Aber keinesfalls, damit ich die Plantage Buitenhus leite. Niemals würde er seinen kostbaren Kaffee mir anvertrauen. Wie heißt es doch in der Bibel? Man soll keine Perlen vor die Säue werfen.«
    Seine Rede verwirrte Anna Lisa derart, dass sie das Gebot missachtete, ihn zu unterbrechen, und fragte: »Aber was werden Sie denn dann in Java machen?«
    Er antwortete mit leiser, ruhiger Stimme und ohne sichtbare Erregung: »Wenn alles nach seinem Plan geht, werde ich in ein, zwei Monaten krank werden und sterben. Viele Menschen, die zum ersten Mal in die Tropen reisen, sterben nach ein paar Wochen. Sie bekommen Fieber, oder sie werden von einem Skorpion gestochen, oder sie essen etwas Verdorbenes … Niemand würde es wundern, wenn ich bald sterbe. Und niemand würde es interessieren. Wie gesagt, viele Europäer werden dort krank. Die Hafenstadt Batavia ist die übelste Pesthöhle, die man sich vorstellen kann, sie liegt im Schwemmland an der Mündung des Flusses Ciliwung, und die Sümpfe brüten alle erdenklichen Fieber aus. Man nennt sie Het kerkhof der Europeanen – den ›Friedhof der Europäer‹. Schon Captain James Cook, dessen Männer dort starben wie die Fliegen, warnte alle Europäer

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