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Die Traenen des Mangrovenbaums

Die Traenen des Mangrovenbaums

Titel: Die Traenen des Mangrovenbaums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne de Witt
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Ostindien waren enorm gespannt, denn die Eroberer waren hier nicht auf ein Volk einfältiger Wilder gestoßen, sondern auf eine straff durchorganisierte Gesellschaft, die seit Jahrhunderten auf einem unverrückbaren Fundament ruhte: Für jeden Javaner, ob mächtig oder gering, galt als Richtschnur seines Handelns das Adat , das jahrhundertealte Gewohnheitsrecht, das alle Beziehungen regelte. Es widerstand allen Versuchen, mit Waffengewalt eine neue Gesellschaftsordnung einzuführen. Es erwies sich stärker als jede Religion, die an den Gestaden der Insel gelandet war: Ob es der Hinduismus war, der Buddhismus, der Islam oder das Christentum, letzten Endes wurde alles zu einer Abwandlung des Adat.
    Wolkins zuckte die Achseln. Wenn der Besucher Herr Raharjo war, würde er ihm nicht allzu sehr den Appetit verderben. Der Jüngling, mochte er auch in einer braunen Haut stecken, war ein feiner Bursche. Nicht umsonst nannten ihn die Holländer halb spöttisch, halb widerwillig anerkennend »das Goldhähnchen«. Er war intelligent, tüchtig, gewandt, höflich, ohne ein Stiefellecker zu sein. Der Engländer mochte keine Kriecher. Er hatte es lieber mit einem zu tun, der ihm offen zeigte, dass er ihm nur aus Notwendigkeit höflich begegnete, als mit einem Schöntuer, der ihm hinterrücks das Messer zwischen die Rippen stieß. Sollte Herr Raharjo ihm jemals seinen scharf geschliffenen Kris ins Herz rammen, was er sicher gerne getan hätte, würde er das von Angesicht zu Angesicht tun.
    Der alte Mann grinste zynisch. Er klatschte laut in die Hände zum Zeichen, dass sein Frühstück aufgetragen werden sollte. Kaum hatte er sich an den Tisch gesetzt, erschienen auch schon zwei junge, zimtfarbene Küchenmädchen mit einem Servierwagen aus Bambus, auf dem Keramikschalen mit frischen Früchten – Bananen, Kokosnüsse, Mangos und Pampelmusen – standen. Rasch war der Tisch bedeckt mit köstlich gefüllten Tellern, Schalen und Schüsseln, denn das Frühstück war die Hauptmahlzeit des Tages, ehe einem die Hitze den Appetit verschlug. Eine Platte mit Ayam Goreng – gebratenem Huhn – wurde aufgetischt, Reis und Gemüse und als Nachtisch Sojabohnenkuchen und in Eierteig frittierte Bananenschnitze. Wolkins griff mit deftigem Appetit zu. Während er auf seinen ungeliebten Gast wartete, meldete sich der erwachende Dschungel draußen lautstark zu Wort. Die zunehmenden Geräusche und Bewegungen auf der Plantage scheuchten Vögel auf, die pfeifend und zwitschernd emporflatterten und dabei ihre bunte Farbenpracht präsentierten.
    Dann jedoch wurde über ihrem Gezwitscher ein Geräusch hörbar, das der Wind aus dem Urwald herantrug, schwach zwar, doch deutlich wahrnehmbar. Wolkins stockte mitten in der Bewegung, hielt den Löffel zwischen Teller und Mund. Ein paarmal ertönte ein fernes, aber nichtsdestotrotz durchdringendes Gebrüll. Ein Tiger! Wolkins lief ein kalter Schauder über den Rücken. Er war wahrhaftig kein Feigling, aber an den gelb gestreiften Menschenfresser konnte er sich nicht gewöhnen. Der Tiger war heimtückisch, blutgierig und gnadenlos. Und er wurde von den Javanern nicht nur als Raubtier gefürchtet, sondern auch als der gespenstische Sima Gadhungan – der Wiedergänger eines Ermordeten, der in Gestalt einer Bestie seine Mörder heimsuchte.
    Der Wiedergänger eines Ermordeten …
    Der Verwalter füllte sein Glas Whisky nach. In den Träumen, die ihn während der letzten heißen Nächte gequält hatten, waren ihm Ermordete erschienen, ein junger Mann mit blauen Flecken im verfärbten Gesicht und eine totenbleiche junge Frau. Die Träume hatten Wolkins missfallen. Er hatte in seinem Leben eine Menge Dinge getan, die nicht lupenrein waren, und einige, die ausgesprochen übel waren. Aber ein junges Ehepaar kaltblütig umzubringen, das war etwas anderes. Ein junges weißes Ehepaar. Ein paar von den braunen Kaffern abzumurksen, hätte ihm keine schlaflosen Nächte bereitet, aber Weiße – das war ein richtiger Mord. Einer, für den man gehängt wurde, wenn sie einen erwischten. Und außerdem traute er der Auftraggeberin nicht. Die Erfahrung hatte ihn gelehrt, dass Menschen wie Madame Lafayette ihre Werkzeuge zerbrachen, nachdem sie sie benutzt hatten.

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