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Die Traenen des Mangrovenbaums

Die Traenen des Mangrovenbaums

Titel: Die Traenen des Mangrovenbaums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne de Witt
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hatte auf neue Meldungen gehofft, die seine Ansicht bestärken oder entkräften konnten. Entweder war der Bursche den Häschern der Holländer in die Hände gefallen und getötet worden, ohne dass seine Identität dabei aufgedeckt wurde, oder er bereitete neue Teufeleien vor.
    Der Rest der Zeitung war weniger interessant. Der Engländer blätterte gleichgültig durch die eng bedruckten Seiten, die mit marktschreierischen Annoncen für Genever und Gin, abgepackte Currysuppe, Kakaogetränke und Limonenlikör nur so zugepflastert waren. Bei einer Meldung auf der letzten Seite jedoch hielt er inne.
Mehrere Fälle von heftigen Erkrankungen in der Umgebung von BATAVIA.
    Eine neue Typhusepidemie wird befürchtet.
    Es erkrankten mehrere Personen unter verdächtigen Symptomen wie anhaltendem, hohem Fieber um die 40 Grad, dem ein allgemeines Unwohlsein mit Mattigkeit, Verstopfung und heftigen Kopfschmerzen vorangegangen war. In zwei Fällen wurden rötliche Flecken auf Brust und Bauch der Patienten beobachtet, die nach Ansicht einiger Ärzte als die für Typhus charakteristischen »Roseolen« anzusehen sind. Andere Mediziner widersprechen dieser Diagnose und vermuten einen harmlosen, durch Hitze und aufgestaute Feuchtigkeit hervorgerufenen Nesselausschlag. Jedenfalls konnte bei keinem Kranken das entscheidende Merkmal festgestellt werden, die sogenannte Typhuszunge, die in der Mitte deutlich grau-weißlich belegt ist, an den Rändern und der Zungenspitze jedoch freie rote Bereiche zeigt. Die Behörden nehmen diese Erkrankungen, auch wenn sie aller Wahrscheinlichkeit nach harmloser Natur sind, zum Anlass, den Bewohnern dringend in Erinnerung zu rufen, wie gefährlich verseuchte Brunnen sein können …
    Der Engländer überging den Rest des Artikels. Krankheiten hatten ihm noch nie imponiert. Er war überzeugt, gegen Typhus ebenso immun zu sein wie gegen Malaria und Ruhr, denn jeden Morgen genehmigte er sich unmittelbar nach dem Aufstehen einen Teelöffel Chinin zur Vorbeugung gegen Fieber, den er in seinen Whisky einrührte. Er registrierte nur, dass er jetzt wusste, warum seine Eingeborenen sich vor der Krankheiten verbreitenden Penanggalan fürchteten. Typhus brach zumeist als Erstes in den Kampongs mit ihren schmutzigen Wasserstellen aus.
    Sein einheimischer Diener huschte die hölzernen Treppenstufen herauf. Er meldete, das Frühstück sei fertig, und die Wächter am Tor der Plantage hätten einen Reiter auf silbergezäumtem Araberhengst den Bergpfad heraufkommen gesehen.
    Wolkins runzelte die Stirn. Er bekam selten Besuch. Das lag nicht nur daran, dass er keine persönlichen Freunde hatte. Die europäischen Völker, die sich auf Java angesiedelt hatten, hielten Distanz voneinander. Ursprünglich waren die Portugiesen gekommen, dann die Engländer, dann hatten die Holländer diese beiden entmachtet und ihnen das üppige Land entrissen, was zu viel Ärger geführt hatte. Die Portugiesen hatten jede Bedeutung verloren. Die Holländer sahen sich als die eigentlichen Kolonialherren, während die Engländer und die Deutschen nur die Bröckchen aufpickten, die unter ihren Tisch fielen. Diese beiden wiederum waren traditionell keine Freunde. So hatte es sich eingebürgert, dass man unter sich blieb, wo es nur ging. Für Wolkins wäre also nur ein Engländer als freundschaftlicher Besucher infrage gekommen, und von denen gab es wenige in der Umgebung.
    »Hast du gesehen, wer es ist?«
    Der Diener nickte. Der Besucher war, seinem Pferd und seinem kostbar bestickten roten Mantel nach zu schließen, Herr Raharjo, der Enkel des Adhipati von Bandung – ob man für ihn auch mitdecken sollte?
    Wolkins nickte nach kurzem Zögern. Normalerweise hätte er sich nicht mit einem Mann an einen Tisch gesetzt, der weder eine weiße Haut noch eine anständige Religion hatte. Aber das Dumme an diesem Land, dachte er, war, dass viele Kaffern hier reiche und mächtige Kaffern waren. Leute, die sich nur durch ihre zimtbraune Haut von einem europäischen Fürsten unterschieden. Man musste einen langen Löffel haben, wenn man mit ihnen essen wollte. Zwar unterstanden sie, rechtlich gesehen, der niederländischen Krone, aber in ihrem eigenen Wirkungsbereich sahen sie sich weiterhin als die Abkömmlinge alter Fürstengeschlechter, die sie ja auch tatsächlich waren: autoritär, machtbewusst, geldgierig und oft grausam; gefürchtet und zugleich vergöttert von ihren Untertanen. Die Beziehungen zwischen den Kolonisatoren und den Kolonisierten in

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