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Die Traenen des Mangrovenbaums

Die Traenen des Mangrovenbaums

Titel: Die Traenen des Mangrovenbaums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne de Witt
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unter dem die Musiker in historischen Seefahrerkostümen saßen. Nicht auszudenken, wenn ein Regenguss diese Pracht zerstört hätte!
    In den letzten vier Wochen war viel zu tun gewesen, und in den letzten Tagen hatte sich die Geschäftigkeit der Vorbereitungen zu einer Hektik gesteigert, dass die Braut kaum wusste, wo ihr der Kopf stand. Simeon und sein Vater waren angekommen und hatten sich im Hotel einquartiert. Das Lobrecht’sche Patrizierhaus schwirrte von Gehilfen, die den Theatersaal mit Grün und Blumen schmückten. In der Küche ging es zu wie in einem Bienenstock. Die teils von weit her zu Besuch gekommenen Verwandten summten so aufgeregt im Haus herum, als seien sie es, die heiraten sollten. Jetzt, am Hochzeitsmorgen, erreichte der Trubel seinen Höhepunkt. Die junge Frau fühlte sich, als drohte sie, in einem stürmischen Meer zu ertrinken. Alles schwärmte um sie herum, man zog sie an, frisierte sie, schmückte sie. Ach, dachte sie, Simeon hatte es gut – der brauchte sich nur zu waschen, zu kämmen und einen neuen Anzug anzuziehen, während sie hier stundenlang aufgeputzt wurde! Aber gleichzeitig fand sie eitlen Gefallen an dem eleganten Brautkleid, dem lang herabfallenden Schleier und der prächtigen Brautkrone aus Perlen und wächsernen Myrten, die schon ihre Großmutter getragen hatte. Mette hatte sich bereit erklärt, bis zur Hochzeit ihrer jungen Herrin zu dienen, da »diese Missionarin«, wie sie Pia Bertram abfällig nannte, niemals imstande sein würde, die Braut ordentlich zurechtzumachen. Sie wuselte um Anna Lisa herum und zwitscherte dabei vor Aufregung wie ein Kanarienvogel.
    Seit dem frühen Morgen erschienen immer mehr Besucher von außerhalb, Verwandte und Geschäftsfreunde. Lärmend fuhren die Kutschen in den Hof ein, die Gäste stiegen aus und wurden von Scharen livrierter Diener in den Park geleitet, um sich an den Gourmet-Zelten schon einmal zu erfrischen, bevor die kirchlichen und behördlichen Zeremonien begannen. Den besonders vornehmen Gästen, wie der Geistlichkeit und den eingeladenen Senatoren, war der Gartensaal vorbehalten, durch dessen weit offene französische Türen man in den Park hinausblickte. Im Theatersaal mit seiner reich verzierten Decke, den gläsernen Lüstern, den Wänden voller Spiegel, sollte später getanzt werden. Eifrige Handwerker hatten ihn mit kunstvollen Aufbauten in ein Feenreich verwandelt, umgeben von Statuen, Topfpalmen und zarten Gazevorhängen. Handtellergroße Spiegel an den Streben fingen das Licht der Gaslampen auf und bildeten einen künstlichen Sternenhimmel über den Tanzenden. Noch lag die weite Fläche des polierten und mit Schneiderkreide bestäubten Teakholzbodens leer und verlassen da, aber nach dem Tee würden sich hier prächtig gekleidete Paare bis in die Morgenstunden beim Tanz drehen.
    Anna Lisa war froh, als ihr Vater sie endlich energisch am Arm nahm und zu der Kutsche führte, die sie in die Kirche bringen sollte. Sosehr sie sich freute, jetzt drohte ihr alles zu viel zu werden, und außerdem meldete sich eine abergläubische Angst in ihrem Inneren, mit der kirchlichen Zeremonie könnte der Albtraum wiederkehren, der sie einst so erschreckt hatte. Was, wenn ihr nun plötzlich übel wurde? Wenn die Gespenster des Traums sie überwältigten und sie davor zurückschreckte, ihren Gatten zu küssen? Wenn die Zeremonie, die Glück verheißen sollte, sich in ein Schrecknis verwandelte?
    Aber nichts dergleichen geschah. Sie hatte nur mächtiges Kopfweh, als der Pfarrer sie fragte, ob sie Simeon Vanderheyden zu ihrem angetrauten Gatten nehmen wollte, und ihre Hand war kalt vor Nervosität, als er ihr den Ehering ansteckte. Er beugte sich vor, um sie als seine Ehefrau zu küssen, und sie schloss die Augen und schmeckte Bartpomade. Hoffentlich, ging es ihr durch den Kopf, hatte er dieses ölige Zeug nur für den hohen Festtag aufgetan und würde es im Alltag bleiben lassen; es war ja, als küsste man einen frisch gewichsten Stiefel!
    Man zog aus der Kirche zurück zum Haus des Brautvaters. Anna Lisa nutzte eine kurze Pause, wusch sich das Gesicht mit kaltem Wasser und rieb sich die Schläfen mit Kölnisch Wasser ein, um das Kopfweh zu vertreiben. Es half immerhin ein wenig. Sie konnte lächeln, als sie mit ihrem frischgebackenen Ehemann auf den grün bekränzten Ehrenplatz an der Tafel gesetzt wurde.
    Wenigstens einmal erfüllte Simeon die Hoffnungen seines Vaters. Selten hatte man einen so strahlenden Bräutigam gesehen. Zur großen

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