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Die Traenen des Mangrovenbaums

Die Traenen des Mangrovenbaums

Titel: Die Traenen des Mangrovenbaums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne de Witt
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andere Mützen mit Agraffen, Pelz und Federboas und verschwenderisch geschmückte Kleider aus wertvollen Stoffen, teilweise sogar mit Schleppe. Anna Lisa kam sich vor wie eine graue Maus. Allerdings waren unter diesen Paradiesvögeln viele Passagiere der Luxusklasse, die sich im Deckaufbau befand. Dort logierten die wirklich reichen Leute, die hochnäsig selbst auf die Erste-Klasse-Passagiere herabblickten. Ihre Luxusappartements waren märchenhafte Kreationen aus Edelhölzern, Gold, Silber, kunstvoll gewebten Gobelins und wertvollen Gemälden.
    Dr. Lutter bemerkte die Missstimmung seiner Begleiterin sehr wohl, und er verstand es, sie aufzuheitern, indem er eine Bemerkung über Putzäffchen machte, die den ganzen Vormittag lang darauf warteten, zu Mittag ihre neuesten Pariser Kreationen auszuführen. »Und dann verhungern sie vor der vollen Schüssel, weil sie vor lauter Herumgucken nicht zum Essen kommen.«
    Anna Lisa lachte. Tatsächlich! Nach außen hin schien es, als seien alle Gäste im Speisesaal nur mit den Leckerbissen beschäftigt, die ihnen aufgetischt wurden, aber in Wirklichkeit huschten verstohlene Blicke nach allen Seiten. Wie es auf Seereisen üblich ist, beobachtete man sich gegenseitig, suchte die Menschen abzuschätzen, mit denen man eine ganze Weile zusammengesperrt sein würde, sei es auch in einem goldenen Käfig.
    Es war nicht nur sein Scherz, der ihre gute Laune wiederherstellte. Sie merkte auch, dass viele der Damen im Saal ihr neidische Blicke zuwarfen. Offenbar herrschte starke Nachfrage nach der Gesellschaft des Schiffsarztes. Schon seine Position machte ihn ja zu einem begehrten Begleiter, und dann war er auch ein recht gut aussehender Mann. Galant und mit großer Selbstsicherheit führte er sie zu dem für das Ehepaar Vanderheyden reservierten Platz und übernahm alle Aufgaben eines Gastgebers. Sie waren spät dran. Eben wurden die Aperitifs herumgereicht, und die Kellner nahmen bereits die Bestellungen für die Suppe auf.
    Anna Lisa studierte die kleine, zierlich verschnörkelte Schrift auf der Karte. Sie fragte sich, ob das Angebot drei verschiedene Menüs darstellte oder ob sie das alles bei einer einzigen Mahlzeit aufessen sollten: kalte Vorspeise, Suppe, warme Vorspeise, Fischgericht, Fleischgericht, Würzbissen, warme Nachspeise, kalte Nachspeise, Mokka … Wenn das ihre täglichen Mahlzeiten waren, würde sie bei ihrer Ankunft in Java so unförmig aussehen wie Tietjens!
    Dr. Lutter eröffnete das Gespräch mit der Frage: »Sie sind auf Hochzeitsreise, Frau Vanderheyden?«
    »Ja. Und wie Sie sehen, hat meine Ehe nicht gerade gut angefangen.«
    »Da haben Sie leider recht. Ihr Gatte ist wirklich zu bedauern. Eine Verstauchung schmerzt viel mehr als ein Bruch, und ihn hat es am Knöchel und zugleich am Knie ziemlich böse erwischt. Sie müssen ihm seine üble Laune nachsehen. Er hat sich wahrscheinlich von seiner Hochzeitsnacht etwas Besseres erhofft, als mit einem höllisch schmerzenden Bein auf dem Rücken zu liegen.«
    Anna Lisa errötete bei der Anspielung, dann fiel ihr ein, wie verächtlich Bartimäus sich über den Unfall seines Sohnes geäußert hatte, und in dem plötzlichen Bedürfnis, Simeons Ehre wiederherzustellen, bemerkte sie unnötig scharf: »Er konnte nichts dafür. Die Handwerker hatten einen Gazevorhang schlecht befestigt, sodass er herunterfiel, genau auf die Leute, die die Treppe hinabgingen. Es gab ein furchtbares Gedrängel. Simeon wurde gestoßen und stürzte über die Treppe. Er hätte gar nichts dagegen tun können.«
    »Ich werde mein Bestes tun, damit er in wenigen Tagen jedenfalls ohne Schmerzen liegen kann. Stehen und gehen wird er noch eine Weile nicht können.« Er nippte an dem Glas mit dem Aperitif, offenbar in Gedanken; dann sagte er: »Und auch zu anderen heftigen, die Knie belastenden Bewegungen wird er nicht so bald in der Lage sein.«
    »Sie meinen, er wird nicht reiten können? Aber in Java – oh.« Das Blut schoss ihr in die Wangen. »Ich verstehe. Er tut mir sehr leid.«
    Er beeilte sich, das Thema zu wechseln. »Bemühen Sie sich, Ärger und Misshelligkeiten von ihm fernzuhalten. Ein Mensch, der Schmerzen hat, ist allem gegenüber verdrießlich, man sollte über keine heiklen Dinge mit ihm reden.«
    Zutraulich gestand sie ihm: »Er hat nicht nur Schmerzen, er hat auch große Sorgen. Wir sind, wie Sie vielleicht schon wissen, unterwegs nach Java, wo sein Vater einige Kaffeeplantagen besitzt, und Simeon fürchtet, seine Gesundheit könnte

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