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Die Traenen des Mangrovenbaums

Die Traenen des Mangrovenbaums

Titel: Die Traenen des Mangrovenbaums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne de Witt
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umsah, ob man für sie ein passendes Lager bereitet hätte. Als sie nicht gleich eines fand – ihre Rollmatratze steckte noch im Gepäck –, ließ sie sich auf dem Doppelbett nieder. Ein Steward suchte sie grob zu verscheuchen, Simeon brüllte ihn an, er solle sich zum Teufel scheren, während Pahti – der mehr als alles andere den Zorn des Dämons fürchtete – Tietjens mit zitternder Stimme versicherte, dass er persönlich an der üblen Behandlung unschuldig sei. Die Hündin selbst rührte sich keinen Zoll weit; sie maß die Stewards mit einem bedrohlichen Blick ihrer Bernsteinaugen, als schätzte sie ab, wie viel Pfund rohes Fleisch sie beide zusammen abgaben, und zeigte mit gekräuselter Nase die beiden gelben Fangzähne.
    Daraufhin stellten die Männer die Bahre auf dem Boden ab und flohen aus der Kabine mit der Ankündigung, sie würden eher ihren Dienst quittieren, als sie wieder zu betreten, solange sich das Ungeheuer darin befand.
    Simeon, dessen verletztes Bein nach der rumpelnden Kutschenfahrt und dem Bahrentransport über das Fallreep erbärmlich schmerzte, fluchte wie ein Kaperkapitän – worauf die bislang schweigsame Pia Bertram in heiligem Zorn herausplatzte: »Versündigen Sie sich nicht, gnädiger Herr, damit Ihnen nicht noch Schlimmeres widerfahre!«
    Es sah ganz so aus, dachte die verstörte Anna Lisa, als sollte das Unheil ihres Hochzeitstages ihr weiter anhängen!
    Sie hatte Mühe, die Tränen zurückzuhalten, aber sie schaffte es. Jetzt zu flennen wie ein kleines Kind, würde ihren Gatten nur noch weiter verärgern und sie vor den Dienstboten demütigen. War sie nicht Elmer Lobrechts Tochter? Sie schaffte es, mit ruhiger Stimme Anordnungen zu erteilen, aber in ihrem Inneren tobten Wut und Verzweiflung. Wie konnte ihr Mann sie so im Stich lassen? Wie konnte er einfach da liegen, krank sein und fluchen, während die ganze Last auf ihren Schultern ruhte? Als verwöhnte jüngste Tochter eines fürsorglichen Vaters war sie nie in die Lage gekommen, mit Schwierigkeiten selber fertigwerden zu müssen. Alles hatte man ihr aus der Hand genommen, sobald es den Verstand und die Tatkraft eines Mannes erforderte. Und ganz selbstverständlich hatte sie das auch von ihrem Gatten erwartet. Stattdessen fiel der die Treppe hinunter, verstauchte sich das Bein und war zu nichts zu gebrauchen!
    Dann gewann der vernünftige Teil in ihr die Oberhand – denn im Grunde war Anna Lisa Lobrecht, verehelichte Vanderheyden, eine recht vernünftige Person, nur hatte sie noch nie viel Gelegenheit gehabt, diese Vernunft zu gebrauchen. Beschämt über ihr kindisches Selbstmitleid schalt sie sich selbst einen Dummkopf. Ja, dumm war sie und ungerecht obendrein. Statt ihrem kranken Ehemann seine Lage zu erleichtern, machte sie ihm noch insgeheim Vorwürfe!
    Mit einem tiefen Atemzug straffte sie die Schultern. Worüber regte sie sich denn so auf? In nächster Zeit hatten sie überhaupt nichts zu tun, sie konnten auch gar nichts tun, nur in der Kabine oder an Deck herumlungern und warten, dass die Anne-Kathrin ihr Ziel Java erreichte. Das wenige, das es zu tun gab, erledigten zwei effiziente Dienstboten. Ihre einzige wirkliche Aufgabe bestand darin, Simeon bei Laune zu halten. Die Schmerzen konnte sie ihm nicht abnehmen, aber sie konnte immerhin dafür sorgen, dass er sich abseits seiner Verletzung nicht auch noch ärgerte. Schon in der kurzen Zeit zwischen ihrem ersten Kennenlernen und der Hochzeit hatte sie herausgefunden, wie launisch er war, wie schnell er in tiefe Melancholie verfiel, wie schnell er sich aber auch aufheitern ließ, wenn sie nur die richtigen Worte fand.
    Zu dumm, dass das Thema »Herbarien« im Moment nicht gut bei ihm ankommen würde. Da sie in Java keine klobigen Wälzer mit sich herumschleppen konnten und die empfindlichen Bücher eine Seereise sowieso nicht überstanden hätten, waren die Bände in Amsterdam geblieben, vorsorglich in der Schatzkammer einer botanischen Gesellschaft, denn Simeon traute seinem Vater zu, dass er sie ins Feuer warf, kaum dass der Sohn ihm den Rücken zugedreht hatte.
    Nun, sie würde sich etwas anderes einfallen lassen müssen.
    Bis es Zeit zum Mittagessen wurde, hatte sich die Situation allmählich wieder beruhigt. Simeon wurde bequem auf das breite Lager gebettet und bekam einen Löffel von der Opiumtinktur, die die Schmerzen in seinem Bein linderte und ihn angenehm schläfrig und gleichgültig machte. Tietjens ließ sich bewegen, ihr eigenes Lager – das noch

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