Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Traenen des Mangrovenbaums

Die Traenen des Mangrovenbaums

Titel: Die Traenen des Mangrovenbaums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne de Witt
Vom Netzwerk:
vor Anna Lisas privaten Besitztümern ausgepackt wurde! – zu beziehen, verzehrte eine üppige Mahlzeit aus Trockenfleisch und begab sich zur Ruhe. Fräulein Bertram sortierte und verstaute mit geschickter Hand alle Gepäckstücke in den dafür vorgesehenen Schränken und Kommoden. Anna Lisa vernahm mit einiger Erleichterung den Wunsch ihres Gatten, sie möge ihn allein lassen, er wollte kein Mittagessen und auch keine Gesellschaft. Sie könnte sich das Essen ja in die Kabine bestellen. Eben wollte sie ausfindig machen, ob sich überhaupt noch ein Steward bereitfinden würde, ihr die Mahlzeit in der Höhle des Löwen zu servieren, als es klopfte und der Schiffsarzt seinen Besuch anmeldete.
    Sie sah sich einem weiß uniformierten Mann gegenüber, groß und hager, mit einem Schopf blassbrauner Haare und einem buschigen Schnauzbart, ein Mann, der ihr noch sehr jung für einen so verantwortungsvollen Posten zu sein schien. Er konnte gerade erst sein Doktorat gemacht haben. Er stellte sich vor als Dr. Max Lutter von Lohenburg – »Aber bitte einfach Dr. Lutter!« Offenbar genierte es ihn ein wenig, dass er noch so deutlich als Jüngling zu erkennen war, denn er bemühte sich sehr um ein professionelles Wesen – und es gelang ihm gut, die richtige Mischung aus Freundlichkeit und ernster Autorität zu finden. Mit einem Lächeln, das sogar den übellaunigen Simeon aufheiterte, bot er diesem seine Dienste an. Er untersuchte ihn, trug eine scharf riechende Salbe auf, erneuerte den Druckverband, ließ frisches Eis bringen und sorgte für ein keilförmiges Polster, auf dem das verstauchte Bein bequemer ruhig zu stellen war. Tietjens, die ihn anfangs misstrauisch beschnüffelt hatte, ließ sich rasch überzeugen, dass er nur das Beste für ihren geliebten Herrn wollte. Als er von den Problemen mit den Stewards hörte, bot er sich sofort an, zu vermitteln. Zuletzt schlug er vor, die einsame Anna Lisa in den Speisesaal zu geleiten und ihr beim Essen Gesellschaft zu leisten.
    Sie wandte sich zögernd an ihren Gatten. »Was sagst du, Simeon? Ist es dir recht?«
    Er winkte sie ungeduldig hinaus. »Ich bin müde von dem Opium. Geh nur und lass dir das Essen schmecken. Dein Fräulein kann auch essen gehen. Wenn ich jemand brauche, ist Pahti da.«
    Also machten sie sich zu dritt auf den Weg zu den Speisesälen. Durch das Schlingern des Schiffes kam man nur langsam voran. Vorsichtig an den Handlauf geklammert, stieg Anna Lisa die mit kobaltblauem Rips belegte Treppe hinauf. Allein hätte sie vermutlich niemals an ihr Ziel gefunden, denn der Weg führte durch ein Labyrinth von zahlreichen ganz gleich aussehenden Korridoren, alle mit blauem Teppichboden und Reihen messinggefasster Gasglühlampen, die ein weiches Licht verströmten. Fräulein Bertram bog zum Speisesaal für die Diener und Zofen der Herrschaften ab, während Anna Lisa am Arm des Arztes den Speisesaal erster Klasse aufsuchte.
    Sie schnappte nach Luft, als sie den luxuriösen Saal betraten. Auch wenn sie erster Klasse reisten, auf solchen Prunk war sie nicht gefasst gewesen. Man konnte meinen, sich in einem gediegenen Restaurant zu befinden, so exquisit war er ausgestattet, vom persisch gemusterten Teppichboden bis zu den Kristalllüstern an der mit Tropenholz getäfelten Decke. Pastellfarbene Spitzenvorhänge verdeckten die Bullaugen. Kerzen in silbernen Leuchtern verströmten ihr sanftes Licht über die Tische, die in endlosen Reihen nebeneinanderstanden, alle mit steifem Damast bedeckt und mit Blumenarrangements geschmückt. In der doppelten Beleuchtung funkelten die Kristallgläser wie Diamanten. Offensichtlich hatten die meisten Passagiere den Schiffsköchen möglichst rasch die Ehre erweisen wollen, denn es gab kaum noch freie Plätze an den weiß gedeckten Tischen.
    Anna Lisa hatte sich, da ihr Reisekleid von dem Regenguss durchfeuchtet war, in aller Eile umgezogen. Sie trug ein kobaltblaues Kleid mit enger Jacke und einem gestuften, an den Rändern mit hellblauem Samt besetzten Rock, dessen oberste Schicht hinten zu einer Turnüre gerafft war. Daheim in Hamburg hätte sie sich in dieser Aufmachung für ein alltägliches Mittagessen vornehm genug gefunden, aber die Damen und Herren, die bereits an den Tischen Platz genommen hatten, waren so elegant – und teilweise extravagant – gekleidet, dass sie wünschte, sie hätte ein weniger praktisches Kleid gewählt. Einige trugen überbordende Hüte, die wie riesige Blumenbouquets über den Tischen schwebten,

Weitere Kostenlose Bücher