Die Traenen des Mangrovenbaums
in dem Klima ernsten Schaden nehmen.«
Sie hatte gehofft, Dr. Lutter würde »Papperlapapp!« sagen, aber er wiegte beunruhigend ernst den Kopf. »Solche Sorgen sind nicht unbegründet. Das Klima in den Tropen ist für Europäer tatsächlich sehr gefährlich.«
»Aber es wandern doch so viele Deutsche nach Java aus!«
»Es sterben auch viele. Haben Sie die Auswanderer gesehen? Manche dieser Leute können sich jetzt schon kaum auf den Beinen halten, wie wollen die in den Tropen überleben? Die Regierungen ermutigen die Armen dazu, auszuwandern, um sie loszuwerden, und suchen alle außer Landes zu schaffen, für die sie sonst Kranken- oder Armenhäuser bauen müssten – oder Friedhöfe.« Als er ihr Erschrecken sah, legte er beruhigend die Hand auf die ihre. Sie schauderte leicht. Es war eine so warme, so trostreiche Berührung. »Aber das betrifft Sie ja nicht. Europäer aus den besseren Ständen haben nichts zu befürchten – allerdings, muss ich gleich hinzufügen, nur so lange sie nicht unvorsichtig sind. Freilich, Ihr Gatte macht den Eindruck eines maßvollen Menschen.«
»Oh, er isst nicht viel, und er trinkt, soviel ich weiß, nur zu besonderen Gelegenheiten.«
»Das ist sehr gut, denn für fettleibige und trunksüchtige Menschen kann Java ein Todesurteil bedeuten. In den Tropen sollte man keinen Alkohol trinken, er macht reizbar; und die Trinker verfallen viel schneller als in Europa dem Säuferwahnsinn. Man darf sich dort keine Unmäßigkeit leisten, sondern muss leben, wie es die Einheimischen tun. Diese Leute trinken schon einmal keinen Alkohol, weil sie zum größten Teil Mohammedaner sind, denen das durch ihren Glauben verboten ist. Sie essen wenig – unmäßiges Essen gilt gleichermaßen als ungehörig wie lautes Reden, Zänkereien oder gar ein Streit. Geschlemmt wird nur bei den großen Festen. Sie arbeiten auch wenig. Nicht weil sie faul sind, sondern weil sie klug sind. Wer sich zu Tode schuftet, stirbt tatsächlich bald. Man muss ein ruhiges, nüchternes, in jeder Hinsicht maßvolles und ausgeglichenes Leben führen. Würde ein solches Leben Ihrem Gatten zusagen?«
»Ich glaube schon. Sehen Sie, er hat eigentlich überhaupt keine Lust auf ein Leben als Pflanzer. Er ist begeisterter Botaniker. Vor allem das Anlegen von Herbarien und das Zeichnen von Blumen und Pflanzen machen ihm Freude, und das ist doch eine sehr ruhige Beschäftigung.«
Dr. Lutter lachte aufmunternd. »Dann sollte er eigentlich hundert Jahre alt werden. Und Sie auch – wenn Sie vernünftig sind, sich vor der Sonne in Acht nehmen und mit allen Menschen in Frieden leben. Bei den Javanern ist das nicht schwierig. Sie sind außerordentlich höflich, freundlich und nachgiebig. Man erweist Höhergestellten Ehrfurcht und bemüht sich sehr, niemanden zu beleidigen. Man muss sie schon sehr lange reizen, bis sie in Wut geraten.« In verändertem Ton fügte er hinzu: »Dann allerdings …« Ein Schatten zog über sein Gesicht. Er unterbrach sich und wechselte abrupt das Thema. »Ich sehe, Sie haben aufgegessen; als Ihr Arzt empfehle ich nun noch einen kurzen Verdauungsspaziergang auf Deck. Vielleicht wollen wir die vierbeinige Freundin Ihres Gatten bitten, uns zu begleiten?«
»Ich werde nachsehen, ob sie kommen will.« Es kam Anna Lisa gar nicht in den Sinn, einfach zu bestimmen, dass Tietjens jetzt einen ihrer mehrmals täglichen Spaziergänge an Deck machen sollte. Nicht nur, dass man einen hundertvierzig Pfund schweren Hund nicht leicht zu etwas zwingen konnte, es war auch Tietjens’ selbstbewusste Persönlichkeit, die Befehle nicht zuließ. Außerdem wusste die Hündin, dass ihr Herr ihr in allen Dingen den Rücken stärkte. Was hatte ihr da irgendjemand zu sagen?
Glücklicherweise zeigte sich Tietjens – die nach dem reichlichen Futter allmählich ein natürliches Bedürfnis fühlte – freiwillig geneigt, einen Spaziergang zu machen. Simeon stimmte zu, allerdings unter der Bedingung, dass Anna Lisa den Hund führte. »Fremde Hände fassen meinen Hund nicht an.« Natürlich war er eifersüchtig, und Anna Lisa ärgerte sich: Dass seine Frau mit einem fremden Mann essen ging, hatte ihn nicht gestört, aber dass dieser Mann seinen Hund ausführte, das wollte er unter keinen Umständen dulden!
Der diplomatische Dr. Lutter tat so, als merkte er es nicht. Er machte ein paar passende Bemerkungen über die Eigenart der Hunde, dass sie sich an einen Menschen gebunden fühlten und andere nur widerwillig an sich
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