Die Traenen des Mangrovenbaums
Probleme wegen Tietjens’ Verdauungsprodukten zur Sprache bringen wollte. Ein Abgesandter der Küche, der sie in Fragen des Hundefutters konsultierte. Der Kapitän, der gelegentlich feierlich über das Sonnendeck schritt und mit den vornehmen Passagieren ein paar launige Worte wechselte. Für alle war es bald selbstverständlich, dass Mevrouw Anna Lisa das Ehepaar Vanderheyden repräsentierte. Die Frage nach den Wünschen ihres Gatten wurde zur bloßen Formalität; man erwartete, dass sie die Entscheidungen traf, und sie tat es. Anfangs hatte sie ihn gefragt, aber entweder hatte das Opium ihn so umnachtet, dass er kaum zu einer klaren Antwort fähig war, oder er lag tief in den schwarzen Schatten seiner Melancholie versunken im Bett und verweigerte ihr die Antwort.
Der Wechsel kam lautlos und unauffällig, weder Simeon noch Anna Lisa registrierten ihn, bis er vollendet war. Sie wäre zutiefst erschrocken, hätte man ihr am Anfang ihrer Ehe gesagt, dass sie die Zügel in die Hand nehmen müsste. Es wäre ihr ungehörig, ja unsinnig erschienen. Niemals hatten ihr Vater und ihre Brüder sie um ihre Meinung gefragt oder ihr gar eine Entscheidung überlassen, wenn es um wichtigere Dinge als den Wochenspeisezettel oder ein neues Kleid ging … und wenn sie sich ehrlich erinnerte, hatte sie nicht einmal in der Haushaltsführung wirklich mitzureden gehabt. Die tüchtige Wirtschafterin ließ sie gerade nur ein wenig mitmischen, wie man die Kinder beim weihnachtlichen Keksebacken mithelfen lässt. Aber jetzt blieb ihr nichts anderes übrig.
Gewiss, es waren keine ernsten Entscheidungen, die sie zu treffen hatte. In der gut geölten Organisation des Hochseedampfers hatten die Passagiere im Grunde den Status von Kindern, die von effizienten Nurses versorgt wurden. Aber sie lernte in vielen kleinen Scharmützeln, dass sie eines Tages vielleicht genötigt sein würde, in eine Schlacht zu ziehen.
Simeons Zustand machte ihr Sorgen. Immer öfter erinnerte sie sich daran, was Elsa gesagt hatte: »Stellen Sie sich darauf ein, dass er sich auf Ihren Arm stützen wird, nicht Sie auf den seinen.« Gewiss, ein verstauchtes Bein war eine sehr unangenehme Sache, es schmerzte abscheulich und behinderte die freie Bewegung. Carl Gustav war seinerzeit auch nicht gerade in heiterer Stimmung gewesen, als sein Pferd ihn abgeworfen hatte und er mit einem bis zum Oberschenkel eingegipsten Bein herumhinken musste. Aber er hatte weiterhin seine Arbeit getan, genau wie ihr Vater, als er nach einem Unfall im Laderaum mit eng bandagierter Brust und zwei gebrochenen Rippen ins Kontor gegangen war. So, wie Simeon sich benahm, war er entweder ausgesprochen launisch und wehleidig. Oder etwas anderes stimmte nicht mit ihm.
Anna Lisa hatte gehofft, seine Stimmung würde sich bessern, wenn er frei von Schmerzen war und das lästige Opium nicht mehr einnehmen musste, aber das Gegenteil war der Fall. Je mehr er sich körperlich erholte, desto schlechter wurde seine Laune. Ihr Anblick schien ihm richtiggehend zuwider zu sein.
Anna Lisa hatte allmählich das Gefühl, dass Pahtis Aberglauben sie ansteckte. Sie wurde den Verdacht nicht los, dass Tietjens Simeon alles weitererzählte, was sich bei ihren Spaziergängen ereignet hatte. Ohne jede Erfahrung mit Hunden, interpretierte sie die Blicke und Laute des Tieres in menschlichen Kategorien, vor allem, da ihr Gatte den Hund bei dessen Rückkehr mit Fragen überfiel. »Nun, wie war dein Spaziergang, min Meisje ? Hast du deine Geschäftchen erledigt? Bist du nass geworden?«
Anna Lisas Groll erreichte den Siedepunkt. Über die Schulter zurück beantwortete sie die Fragen, die nicht an sie gerichtet gewesen waren. »Ja, der Spaziergang war schön. Ich habe alles erledigt und bin nicht nass geworden, weil ich meine neue Kautschukpelerine angezogen hatte.«
»Schön«, erwiderte Simeon, der ihren ätzenden Ton entweder nicht bemerkte oder nicht bemerken wollte. »Pahti, reib sie ordentlich trocken. Auf diesem Schiff zieht es wie in einem Vogelkäfig; ich will nicht, dass sie sich erkältet. Komm, komm, mein gutes Mädchen! Wenn du trocken bist, darfst du zu mir ins Bett.«
Anna Lisa wusste, dass sie sich lächerlich machte, aber sie konnte einfach nicht mehr an sich halten. »Und ich?«, schrie sie, unbekümmert um die Gegenwart des Dieners. »Darf ich auch ins Bett? Oder wünschst du weiterhin, dass ich in meinem Boudoir schlafe, während dein fetter Köter sich im Ehebett wälzt? Hast du Tietjens geheiratet
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