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Die Traenen des Mangrovenbaums

Die Traenen des Mangrovenbaums

Titel: Die Traenen des Mangrovenbaums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne de Witt
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zusätzlich Plagen über das Land gekommen: Trockenheit, Überschwemmungen und Hagelwetter, schließlich eine Invasion von Mäusen, die das letzte Körnchen vom Speicher fraßen. Was blieb den Unglücklichen da anderes übrig, als an fernen Küsten ihr Glück zu versuchen?
    Solche bitterarmen Menschen gab es in ganz Europa. Sie waren eine schwere Belastung für ihre Heimatländer, und so waren als Erste die Engländer und die Holländer auf die Idee gekommen, ihr hungerndes Volk aus dem Land zu schaffen. Sie führten den Leuten vor Augen, wie herrlich es sein musste, in sonnigen tropischen Ländern bei leichter Arbeit ihre eigenen Herren zu sein. Auch die Minister des deutschen Kaisers arbeiteten an Plänen, die Ärmsten in Arbeitskolonien nach Südwestafrika abzuschieben, wo sie für Brot und Suppe das Land urbar machen sollten. Vielen schien es, als sei eine solche Zwangsarbeit noch allemal besser, als im eigenen Haus zu verhungern, aber sie wussten nicht, wie schnell die harte Arbeit und das ausdörrende Klima sie vernichten würden. Sie wussten nichts von wochenlangen Regenfällen, giftigem Getier, feindseligen Einheimischen und den in Europa teilweise ganz unbekannten Krankheiten, die die ohnehin Geschwächten zu Tausenden dahinrafften.
    Anna Lisa war empört. »Ich finde es schrecklich, dass sie diese Menschen dazu verlocken, irgendwohin ans Ende der Welt zu reisen, nur damit man sie im Dschungel oder im Wüstensand verscharren kann.«
    Dr. Lutter seufzte. »Würde es einen großen Unterschied für das arme Volk machen, wenn man sie auf dem Friedhof eines deutschen Armenhauses begräbt?«
    In dem Augenblick traf Anna Lisa ihre Entscheidung – die erste wichtige eigene Entscheidung in ihrem Leben. »Dr. Lutter«, bat sie, »können Sie bei den Leuten da unten nachfragen lassen, ob das Mädchen mit dem Kapuzenmantel bei mir in Dienst treten will – fürs Erste vielleicht nur für die Dauer der Reise?«
    »Gewiss lässt sich das arrangieren, aber …« Dann zuckte er die Achseln. Offenbar war ihm eingefallen, dass es Anna Lisa sehr an Gesellschaft mangelte.
    Er schickte einen Matrosen, und wenig später kehrte der Mann zurück, die Eltern des Mädchens und die Kleine selbst im Schlepptau. Anna Lisa fühlte sich ein wenig beklommen, als sie unter den ernsten, musternden Augen des Kindes ihren Vorschlag wiederholte.
    »Mein Gatte ist krank, und ich brauche ein wenig zusätzliche Hilfe. Ein junges Mädchen wäre da gerade richtig, denn es ist keine schwere Arbeit zu tun.«
    Die Eltern hatten offenbar das Gefühl, dass ihnen Sterntaler in den Schoß fielen, denn sie beteuerten sofort im Chor, dass ihre Gesine die beste Wahl sei, die die Dame treffen könnte: brav, fleißig, klug, geschickt …
    »Es wäre nur gut«, wandte Anna Lisa sich direkt an das Kind, »wenn du keine Angst vor Hunden hast. Mein Mann hat nämlich einen sehr großen Hund, so groß, dass du leicht auf ihm reiten könntest.«
    »Ich habe keine Angst«, antwortete Gesine. Ihre Stimme klang ernst und erwachsen. »Nicht vor dem Hund und auch nicht vor Ihrem Mann.«
    Für einen Moment verdutzt, stieß Anna Lisa hervor: »Aber … vor Simeon brauchst du nun wirklich keine Angst zu haben. Er ist krank und deswegen manchmal schlecht gelaunt, aber er ist ein guter Mann.«
    »Ist er ansteckend?«, fragte Gesine. »Ich meine, hat er die Schwindsucht?« In ärmeren Schichten, vor allem in den Industriegebieten, war das die am häufigsten verbreitete Krankheit, und die Familie Schreiner kam aus dem Ruhrgebiet.
    »Nein, er hat sich nur das Bein so schlimm verstaucht, dass er nicht aufstehen kann. Nun? Ich bezahle dir den halben Lohn meiner erwachsenen Zofe, und du bekommst neue Kleider.«
    Die Eltern waren auf der Stelle einverstanden, bedeutete es doch, dass sie eine Sorge weniger hatten, aber Anna Lisa bestand darauf, dass auch Gesine selbst ausdrücklich Ja sagte. Dann erst nahm sie sie mit und übergab sie Fräulein Bertram mit dem Auftrag, für ein heißes Bad, neue Kleider und eine reichliche Mahlzeit zu sorgen.
    Insgeheim hatte Anna Lisa ein banges Gefühl bei dem Gedanken, was Simeon dazu sagen würde, wenn sie, ohne ihn zu fragen, Personal einstellte – schließlich bezahlte er ja den (wenn auch sehr bescheidenen) Lohn. Aber sie fand, dass es ihm völlig gleichgültig war. Und erst ihr Ärger über diese Gleichgültigkeit machte ihr bewusst, dass sie im tiefsten Grunde gehofft hatte, ihm eins auszuwischen: Wenn er mit Tietjens

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