Die Traenen des Mangrovenbaums
glaube, dein Vater hat vieles nur gesagt, um dich zu kränken. Und jetzt, wo es dir schlecht geht und du Schmerzen hast und ganz dusslig vom Opium bist, fällt dir das alles ein und macht dir schlechte Laune.« Sie drückte seine Hand an ihre Lippen und küsste sie zärtlich. »Sieh nur zu, dass du bald wieder gesund wirst. Ich werde weiter in meinem Boudoir schlafen, wenn es dich stört, mich im Bett zu haben, und ich sage nichts mehr gegen Tietjens.«
Wenigstens war er bereit, ihr seinerseits einen Schritt entgegenzukommen. »Ich wollte dich nicht kränken. Sie ist doch keine Konkurrenz für dich, oder? Sie ist ein Tier.«
»Pahti behauptet, sie sei ein Dschinn. Und es würde mich gar nicht wundern, wenn er recht hätte.«
Sie hatte es in kindischem Trotz hervorgestoßen, und kaum war es heraus, fürchtete sie, Simeon von Neuem verärgert zu haben, aber zu ihrer Erleichterung nahm der junge Mann es als Schmeichelei auf. »Nun, da schätzt Pahti sie ganz richtig ein! Sie ist außergewöhnlich klug, sensibel und eben auch körperlich sehr imposant. Aber sie ist nicht meine Frau. Das bist du.« In dem Bemühen, die Spannung zwischen ihnen zu mildern, liebkoste er mit kalten Fingern ihre Hand. »Und du hast recht, ich bin quengelig, weil mein Bein schmerzt und das Opium mir einen dicken Kopf und schlechte Träume macht.«
Sie war erleichtert über sein Eingeständnis. Sie wäre überzeugt gewesen, dass er die Eheschließung bereute, hätte er ihr nicht selbst den Schlüssel zu seiner Missstimmung in die Hand gegeben: Er begehrte sie, aber er war körperlich nicht in der Lage, dieses Begehren zu erfüllen.
In ihrer Hilflosigkeit bat Anna Lisa Dr. Lutter, sie auf einem Spaziergang an Deck zu begleiten; sie brauche seinen Rat.
Der Wind blies Anna Lisa durchs Haar, als sie auf die weite Fläche des Decks hinaustraten, und sie musste ihren Strohhut mit einer doppelten Schleife unter dem Kinn festbinden, damit er nicht ins Meer geblasen wurde. Ihren Sonnenschirm über den Kopf haltend, suchte sie den schattigsten Teil des Decks für ihren Spaziergang aus.
Schließlich setzten sie sich unter ein Sonnensegel auf den Seekisten nieder, von denen ein halbes Dutzend dort stand. Der Arzt beauftragte einen vorbeieilenden Steward, ihnen Wein zu bringen, und schenkte höflich Anna Lisas Glas voll, ehe er sein eigenes füllte. Dabei begegnete sie einen Augenblick lang seinem Blick, und ein leichter Schauder überlief sie. Selbst eine sehr unerfahrene junge Frau musste diesem Blick entnehmen, dass sie ihm gefiel. Dabei hatte sie sich extra unauffällig gekleidet: Sie trug ein graues Kleid von zurückhaltend elegantem Schnitt, an Halsausschnitt und Manschetten mit feiner Spitze geschmückt. Es sollte ja nicht so aussehen, als wollte sie bei fremden Männern Eindruck schinden, während ihr Mann krank im Bett lag.
Ein Hauch von Rot überzog ihre Wangen, und Dr. Lutter bemerkte es, aber er erwies sich als vollendeter Diplomat. Die Verlegenheit, die zwischen ihnen aufkommen wollte, erstickte er im Keim, indem er sofort in die Rolle des einfühlsamen Arztes zurückfiel. »Nun, liebe Frau Vanderheyden, was quält Sie? Geht es Ihrem Gatten schlechter?«
Erst stockend, dann immer zutraulicher erzählte sie ihm von dem Streit. »Ich weiß, er hat sich so darauf gefreut …«
»Jeder Mann würde sich sehr darauf freuen, Frau Vanderheyden«, sagte Dr. Lutter, und sie quittierte seine Galanterie mit einem Lächeln, bis ihr einfiel, dass er dabei auch sich selbst einschließen mochte. Wieder errötete sie. Er half ihr aus der Verlegenheit, indem er mit ernsten Blicken und gerunzelter Stirn fortfuhr: »Ich spreche jetzt als Arzt mit Ihnen, gnädige Frau. Nehmen Sie es mir nicht übel, wenn meine Worte Ihre weibliche Empfindsamkeit verletzen müssen. Bislang war Ihr Gatte völlig mit seinen Schmerzen beschäftigt, aber da er nun keine Schmerzen mehr hat, wird er es als sehr unangenehm empfinden, tatenlos im Bett liegen zu müssen … in jeder Hinsicht tatenlos. Er ist ein junger und gesunder Mann, der kürzlich eine überaus liebenswürdige Frau geheiratet hat. Seine Frustration wird gewaltig sein. Wir sollten uns bemühen, ihm seine Lage zu erleichtern, wie es ja auch Ihre Pflicht als Gattin ist.«
»Oh, das will ich gerne! Nur … ich weiß nicht recht, wie.« Sie erzählte ihm, dass ihre Mutter früh gestorben war und keine Frau in der Familie ihr Anleitungen geben konnte, wie sie es mit diesen Dingen halten sollte. Und selbst ein
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