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Die Traenen des Mangrovenbaums

Die Traenen des Mangrovenbaums

Titel: Die Traenen des Mangrovenbaums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne de Witt
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herumtändelte, würde sie sich eben mit ihrem kleinen Mädchen unterhalten.
    Lieber Himmel, dachte sie. Weit ist es gekommen! Ein junges Ehepaar, und wir machen einander mit einem Hund und einem Arbeiterkind eifersüchtig!
    Wie in Amsterdam, so stiegen auch in London viele Kolonialbeamte zu, die auf Heimaturlaub gewesen waren und jetzt an ihre Dienstorte zurückkehrten. Anna Lisa lehnte an der Reling und sah zu, wie die Männer, teils in Uniform, teils in Zivil, an Bord gingen, gefolgt von ihrer oft farbigen Dienerschaft. Tietjens stand an ihrer linken Seite, Gesine an ihrer rechten; das Mädchen machte sich nützlich, indem es den zusammengerollten Sonnenschirm und die Handarbeitstasche trug, die zur Ausstattung einer jungen Dame von Stand gehörte, auch wenn diese, wie Anna Lisa, niemals häkelte oder stickte. Handarbeiten waren ihr von Kind auf verhasst gewesen, und da sie keine Mutter hatte, die dazu drängte, waren sie ihr erspart geblieben.
    Gesines Hauptaufgabe bestand freilich darin, der einsamen jungen Ehefrau die Zeit zu vertreiben, und das tat sie auf eine so geschickte Weise, dass sie Anna Lisa bald unentbehrlich erschien. Sie interessierte sich für schlichtweg alles. Wie schnell fuhr ein Ozeandampfer? Woraus waren Anna Lisas Kleider gemacht? Warum aß man Fisch mit einem besonderen Messer? Und: Konnte man an den Haufen, die Tietjens hinterließ, erkennen, was sie vorher gefressen hatte?
    Überhaupt zeigte sie ein auffallendes wissenschaftliches Interesse. Sie wollte genau wissen, was mit Simeons Bein passiert war, dass es ihm jetzt so wehtat, und warum die Salbe, mit der es behandelt wurde, so scharf roch. »Der Doktor sollte es ihm besser mit Hundefett einschmieren, dann wäre es schneller gesund.«
    »Hundefett? Ich bitte dich! Wie kommst du darauf?«
    »Weil Hundefett gut gegen alle Krankheiten ist. Gegen Gliederreißen und Husten und … überhaupt gegen alles.«
    »Gesine«, warnte Anna Lisa, »sprich nie wieder darüber, dass Hundefett gut gegen Krankheiten – oder was auch immer – ist. Mein Mann liebt Tietjens über alles.«
    »Ja, ich weiß«, antwortete Gesine. »Fräulein Bertram sagt, er hat den Mann totgeschlagen, der sie getreten hat, als sie noch klein war. Wenn ich etwas von Hundefett sage, würde er mich dann auch totschlagen?«
    »Nein, aber er würde so furchtbar wütend sein, dass ich dich auf der Stelle zu deinen Eltern zurückschicken müsste, und das würde mir sehr leidtun. Ich bin nämlich froh, dass du da bist.«
    »Ich bin auch froh.« Gesine beschäftigte sich verlegen damit, ihre Schürze gerade zu streichen. »Ich dachte immer, reiche junge Damen sind hochmütig und schnippisch, aber Sie sind gar nicht so, sondern lieb und sanft wie … wie ein Karnickel.«
    Anna Lisa war nicht glücklich darüber, mit einem Karnickel verglichen zu werden, aber sie wusste, dass Gesine für den Vergleich das liebenswürdigste Lebewesen, das sie kannte, bemühte.
    Die Anne-Kathrin zog derweil ihre schäumende Spur entlang der französischen Küste. Die Landschaften wechselten, und es wurde zusehends wärmer und sonniger.
    Der Ozeandampfer ließ die spanische und die portugiesische Küste links liegen und näherte sich der Straße von Gibraltar.
    Die Passagiere saßen jetzt oft den ganzen Tag an Deck, genossen die frische Luft, lachten und scherzten. Die üble Laune, die sich bislang breitgemacht hatte, war verschwunden. Man freute sich allgemein an den warmen Tagen und den milden Nächten mit den großen, glänzenden Sternen.
    Simeon ging es allmählich besser. Unter den kundigen Händen des Schiffsarztes und bei der sorgsamen Pflege durch seinen Diener ließen die Schmerzen nach. Er hatte kaum noch Beschwerden – allerdings nur, solange er ruhig im Bett lag oder mit hoch gelagertem Bein in einem Stuhl saß. Gehen konnte er selbst mit den beiden Krücken, die Dr. Lutter beschafft hatte, nur ein paar mühselige Schritte weit. Deshalb weigerte er sich, die Kabine zu verlassen. Er war überzeugt, die Passagiere würden ihn lächerlich finden, wenn er da »wie ein lahmer Affe hüpfte und humpelte«. Also verkroch er sich übellaunig im Halbdunkel und ließ es sich an Tietjens’ unerschütterlicher Zuneigung genug sein.
    Dass ihr Gatte sich niemals an Deck blicken ließ und auch in der Kabine meistens unansprechbar blieb, hatte eine für Anna Lisa unerwartete Folge. Wer immer etwas mit den Vanderheydens zu besprechen hatte, musste sich notgedrungen an sie wenden. Der Steward, der

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