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Die Traenen des Mangrovenbaums

Die Traenen des Mangrovenbaums

Titel: Die Traenen des Mangrovenbaums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne de Witt
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oder mich?«
    Simeons scharfe Züge veränderten sich. »Pahti«, befahl er mit einer Stimme, der man den Herrn anhörte, »nimm Tietjens mit und reib sie trocken, dann hol ihr Essen.« Sobald der Javaner den Raum verlassen hatte, wies er mit einer ungewohnt autoritären Gebärde auf einen freien Stuhl. »Bitte setz dich.«
    Anna Lisa gehorchte, verkrampft vor Zorn, aber auch mit einem wachsenden Gefühl der Furcht in der Magengrube. Weder ihr Vater noch ihre Brüder hatten jemals ernsthaft mit ihr gestritten. Wenn es nötig war, wurde sie kurz zurechtgewiesen; man nahm sie gar nicht so ernst, dass es irgendwelche Debatten hätte geben können.
    »Erstens«, sagte Simeon mit ruhiger Stimme, »möchte ich nicht, dass du mich vor den Dienern anschreist. Zweitens möchte ich nicht, dass du Tietjens beschimpfst. Kannst du dir das merken?«
    Trotzig antwortete sie: »Du hast recht, und ich entschuldige mich. Für mich ist es allerdings auch nicht angenehm, wenn du vor den Dienern den Eindruck erweckst, Tietjens wäre deine Frau und ich dein Hund. Ich weiß, die Umstände sind sehr unglücklich; ich weiß, du bist enttäuscht und du leidest Schmerzen, aber ich finde es beleidigend, wie du mich aussperrst. Wenn ich zu dir ins Bett will, beklagst du dich, dass die Matratze wackelt und dein Bein wehtut. Bei Tietjens wackelt nichts, dabei ist sie vierzig Pfund schwerer als ich!«
    Er lag still da, die Augen halb geschlossen. Sie dachte schon, er würde überhaupt nicht mehr mit ihr reden, als er plötzlich sagte: »Tietjens stellt keine Anforderungen an mich, die ich nicht erfüllen kann. Sie liegt nicht neben mir und erwartet, dass ich mich als ihr Gatte erweise. Du ahnst ja nicht, wie demütigend das ist, neben einer Frau zu liegen und so völlig … so völlig unfähig zu sein. Ich wage kaum, mich zu bewegen, weil es mir sofort wie glühende Messer durch Knie und Knöchel fährt – und da bist du, so jung und schön und appetitlich, und du bist meine Frau, und ich kann nicht …« Sein Gesicht verkrampfte sich in einer abstoßenden Mischung aus Wut und Elend.
    Das also war das Problem.
    Mit einer impulsiven Geste sank sie neben dem Bett auf die Knie, ergriff seine schlaff herabhängende Hand und drückte sie an die Lippen. Wie sollte sie ihn nur trösten? »Ich erwarte doch gar nichts«, beteuerte sie. »Werde du nur wieder gesund, dann wird sich alles andere ergeben.«
    Er nahm den Trost nicht an. »Eine nicht vollzogene Ehe ist ungültig. Du bist überhaupt nur auf dem Papier meine Ehefrau.«
    »Mag sein, aber ist das etwa deine oder meine Schuld?« Sie erinnerte sich, wie boshaft sein Vater sich über den Unfall geäußert hatte. Wahrscheinlich machte Simeon sich selbst Vorwürfe, dass er gestolpert war. »Solche Dinge geschehen eben. Carl Gustav ist auch einmal vom Pferd gefallen und hat sich ein Bein gebrochen. Und mein Vater wäre beinahe zu Tode gequetscht worden, als auf einem seiner Schiffe die Ladung verrutschte. Du bist nicht der Erste und wirst nicht der Letzte sein, der einen Unfall hat. Ist deinem Vater etwa noch nie etwas zugestoßen?«
    Erleichtert stellte sie fest, dass sie den richtigen Ton getroffen hatte. Simeons gefährlich schlechte Laune verflüchtigte sich bei der Erinnerung daran, dass Bartimäus Vanderheyden einmal beinahe an einer Fischgräte erstickt wäre. Sie hieb energisch weiter in die Kerbe. »Und hat da etwa jemand behauptet, er wäre zu tollpatschig, um zu essen?«
    Nein, natürlich nicht. Bartimäus hatte – kaum dass er wieder atmen konnte – die Köchin hinausgeworfen, weil sie einen Fisch mit Gräten auf den Tisch gebracht hatte, und den Butler angeschrien, der das Unheil beim Servieren nicht bemerkt hatte. Alle waren schuld an seinem Unglück, nur er selber nicht. Dass er beim Essen schlang wie ein Wolf, hatte selbstverständlich nichts damit zu tun, dass er die Gräte mitgeschluckt hatte.
    »Aber wenn mir die Dekoration auf den Kopf fällt, dann heißt es, ich wäre zu blöde, eine Treppe hinunterzusteigen! Und wahrscheinlich auch zu blöde, um …« Er unterbrach sich mitten im Wort und errötete. Der unvollendete Satz löste sich in einigen zischend hervorgestoßenen holländischen Schimpfwörtern auf.
    Anna Lisa atmete tief durch. Der Nebel lichtete sich! Kein Wunder, wenn Simeon unter seiner Schwäche litt, nachdem der niederträchtige Alte ihm solche Gemeinheiten an den Kopf geworfen hatte! »Nun lass dich nicht verrückt machen«, sagte sie mit fester Stimme. »Ich

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