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Die Traenen des Mangrovenbaums

Die Traenen des Mangrovenbaums

Titel: Die Traenen des Mangrovenbaums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne de Witt
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unzeremonieller Gebärde, als handle es sich um ein Säckchen Bonbons, einen Geldbeutel auf den Tisch. »Hier, mein Einsatz. Greifen Sie zu.«
    Raharjo griff zu. Er verstaute das Geld sorgfältig in einer aus Schilf geflochtenen Tasche. Als er seinen Platz am Tisch wieder eingenommen hatte, fragte er: »Und die junge Frau? Die Deutsche?«
    »Die muss auch weg. Vielleicht ist sie ja schon schwanger, dann hätte das Kind ebensolche Ansprüche wie sein Vater. – Nun? Haben Sie bereits einen Plan?«
    »Meine Pläne behalte ich gerne bei mir, Mevrouw. Aber Sie werden von mir hören.«
    »Lassen Sie sich bloß nicht einfallen, das Geld zu behalten und nichts zu tun! In dem Fall …«
    Er lächelte, ein breites, höhnisches Lächeln, das wegen seiner vom Betelkauen orange gefärbten Zähne geradezu dämonisch wirkte. »Oh! Sie erschrecken mich! In dem Fall würden Sie mich gewiss verklagen, nicht wahr, weil ich einen Mord, zu dem Sie mich angestiftet haben, nicht begangen habe?« Das Lächeln erlosch, und eine kalte Maske starrte sie an, vor der sie unwillkürlich zurückwich. »Mevrouw, unterlassen Sie Drohungen mir gegenüber. Wie Sie selbst sagten: Meine Leute erschießen die Feinde unseres Landes – ohne Rücksicht auf deren Nation oder Geschlecht.« Mit einer weichen, eleganten Bewegung erhob er sich und deutete zur Tür. »Verfolgen Sie aufmerksam die Zeitungen. Sobald die Vanderheydens in Java angelangt sind, werden Sie eine erfreuliche Nachricht darin lesen. Und nun wollen Sie sich gewiss verabschieden.«
    Sie ging, erfüllt von einem Gemisch widerstreitender Gefühle. Ärger über die Arroganz, mit der dieser kleine zimtbraune Affe sie behandelte, als wäre sie seinesgleichen – nein, weniger als seinesgleichen! Befriedigung, dass ihr Plan gut lief. Neugier, wann und wo es geschehen würde. Und eine strahlende Vision der Zukunft, in der Godfrid endlich den ihm zustehenden Platz einnehmen würde.
    Herr Raharjo blieb indessen tief in Gedanken zurück.
    Das Geld war ihm willkommen, man konnte nie genug Gewehre und Munition haben, aber alles andere an dem Handel missfiel ihm. Gewiss, sie hatte recht gehabt: Auf einen toten Holländer mehr oder weniger wäre es ihm nicht angekommen, und die Deutschen standen auch nicht in seiner Gunst. Die Weißen, einer wie der andere, waren Räuber, die sein Land überfallen hatten und es ausplünderten, nicht besser als Wegelagerer, die zu erschlagen jeder Patriot das Recht hatte. Und Herr Raharjo war ein Patriot reinsten Wassers.
    Mit unbändigem Stolz führte er seine Ahnenreihe zurück auf den Kriegsherrn Gajah Mada, den »Elefanten-General«, der um die Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert christlicher Zeitrechnung gelebt hatte. Ein genialer Militärstratege und berühmter Kämpfer, hatte er auch politisch in hohen Ehren gestanden als Premierminister des Majapahit-Reiches. Ihm rechnete man das Verdienst an, dieses bedeutendste aller altjavanischen Reiche in ein goldenes Zeitalter geführt zu haben.
    Noch mehr als diesen Helden aus grauer Vorzeit aber verehrte er den Prinzen Diponegoro, in dem viele Javaner einen Messias ihres geknechteten Landes gesehen hatten. Die Holländer hatten seinen Aufstand blutig niedergeschlagen und waren überzeugt gewesen, dass sie der Sache damit ein Ende gemacht hatten, aber dass der edle Jüngling so früh und grausam durch Verrat zu Tode gekommen war, fachte das Feuer des Zorns in seinen Anhängern nur noch mehr an.
    Gedankenvoll öffnete Raharjo den mit gestickten Borten geschmückten Kragen seines Anzugs und zog darunter ein Medaillon hervor, das an goldener Kette auf seiner bloßen Brust hing. Als er es mit dem Fingernagel öffnete, wurde eine Miniatur, auf Elfenbein gemalt,sichtbar. Sie zeigte einen braunen Mann mit schönen, vornehmen Zügen, der eine hochgeschlossene weiße Robe und einen ebenfalls weißen Turban trug. Eine smaragdgrüne Schärpe umschloss seine Taille.
    Raharjo betrachtete das Bild eine gute Minute lang, dann presste er es mit einem tiefen Seufzer gegen die Brust und flüsterte: »Ratu Adil – du gerechter König! Du warst unser Vater im Kampf, wir sind deine Söhne und Enkel. Möge das Blut unserer Feinde deine Seele erfreuen.« Rasch schloss er das Medaillon wieder und versteckte es unter den Kleidern. Es war ein gefährlicher Besitz, aber er konnte sich nicht davon trennen, so wenig, wie er seinen Kris jemals abgelegt hätte, außer zum Schlafen.
    Bei allem Hass gegen die Usurpatoren widerstrebte Herrn Raharjo

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