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Die Traenen des Mangrovenbaums

Die Traenen des Mangrovenbaums

Titel: Die Traenen des Mangrovenbaums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne de Witt
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jedoch der Gedanke, seine Freiheitskämpfer als Henker für die Französin einzusetzen. Als hätte er nicht genau gewusst, was für eine Art Frau sie war! Eine Männerfresserin, die jeden Mann verschlang, den sie zu packen bekam, und seine Knochen ausspie, wenn sie sein Fleisch verzehrt hatte. Oder, in trockener Alltagssprache: Alle Welt – jedenfalls alle Welt in Batavia – wusste, dass Mevrouw Lafayette trotz ihres fortgeschrittenen Alters immer noch keine Mühe hatte, reiche Männer an sich zu locken und sie in kürzester Zeit zu verderben. Das Gerücht folgte ihr, dass sie sich dazu der Zauberei und schwarzen Magie bediente, dass sie Leyaks und andere böse Geister des Dschungels beherrschte. Ja, sie war eine Frau vom Schlage jener ruchlosen javanischen Prinzessin Mahendradatta, die im 11. Jahrhundert christlicher Zeitrechnung Angst und Schrecken verbreitet hatte. Ihr Gatte, der balinesische König Udayana, und ihr eigener Sohn Airlangga hatten sie vor Gericht gestellt, weil sie Hexerei und schwarze Magie praktizierte; sie war verurteilt und des Landes verwiesen worden, aber dank ihrer dämonischen Verbündeten hatte sie furchtbare Rache geübt. Sie hatte alle bösen Geister des Dschungels heraufbeschworen, die Leyaks und die Dämonen, die Krankheit und Tod verursachten. Der gesamte Hof ihres Exehemannes fiel einer Seuche zum Opfer, die sie ausgesandt hatte, und sie hätte in ihrer unersättlichen Gier nach Rache um ein Haar das gesamte Reich unter die Erde gebracht, hätte nicht ein heiliger Mann ihrem Treiben schließlich Einhalt geboten. Als Rangda, die Königin der Vampire und Totengeister, lebte sie in der javanischen Mythologie weiter, und Rangda war ein Schimpfname, den man nicht selten in Verbindung mit der eleganten Französin hörte.
    Raharjo, der ein gebildeter Mann war, hielt dieses Gerücht von dienstbaren Dämonen und schwarzer Magie für Aberglauben. Anders sah es mit dem zweiten Gerücht aus: Dass die elegante Witwe mehr als einen ihrer Gefährten, wenn sie seiner überdrüssig geworden war, durch Gift aus der Welt geschafft hatte. Das glaubte er durchaus. Madame Lafayette wusste selbst nur zu gut, was man ihr alles zutraute; deshalb legte sie so viel Wert darauf, dass der junge Vanderheyden einem politischen Attentat zum Opfer fallen musste.
    Er blickte auf, als Tao Gan den Kopf durch die spaltbreit geöffnete Tür hereinsteckte.
    »Ist die Hexe fort?«, fragte der Chinese. »Was wollte sie?«
    »Nachfragen, womit du deine berühmten Reisklößchen würzt.« Herr Raharjo lachte, aber seine Stimme klirrte dabei. Er schüttelte sich. »Ah! Mach das Fenster auf, sogar die Luft ist schlecht, die sie geatmet hat.«
    Herr Raharjo hatte beschlossen, sich alles noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen, ehe er handelte. Eile hatte er ohnehin keine – noch waren die jungen Vanderheydens an Bord der Anne-Kathrin außerhalb seiner Reichweite. Erst Anfang Juni würden sie in Batavia eintreffen. Und außerdem hatte er zuerst noch etwas anderes zu erledigen, das ihm wichtiger war als ein Auftragsmord für die Rangda.
    Nachdem er seinen chinesischen Freund verlassen hatte, war er den Moltenvliet-Kanal entlanggeritten und dann die Serpentinenstraße hinauf zu der Hochebene, wo die Plantage Buitenhus lag. An der Weggabelung schickte er seinen Pagen weg und befahl ihm, seine Rückkehr in einem am Wegrand gelegenen Losmen – einer bescheidenen einheimischen Herberge – zu erwarten. Er selbst ritt, begleitet von seinem schwarzen Sklaven, weiter.
    In den Tagen und Nächten seit seinem heimlichen Besuch auf Buitenhus hatte er oft und oft darüber nachgedacht, wie er weiter vorgehen sollte. Er war inzwischen fest überzeugt, dass der ewig nach einer Goldader wühlende englische Verwalter zuletzt tatsächlich eine gefunden hatte, wenn auch auf eine ganz unerwartete Weise – nämlich das Versteck, in dem vor so langer Zeit ein treuer Verwalter die Schätze der Prinzessin von Pajajaran vor den plündernden Eroberern verborgen hatte. Gold und Edelsteine verdarben nicht, wie lange sie auch in unterirdischen Gewölben oder in verrottenden Kisten in der Erde lagern mochten. Er war überzeugt, dass Wolkins das Versteck entdeckt hatte, sei es durch Schlauheit, sei es durch einen bloßen Zufall, und die Beutel voll Gulden im Keller aus dem Verkauf eines geringen Teils dieser Schätze stammten.
    Raharjo war viel zu klug, als dass er der Fährte durch vieles Herumfragen gefolgt wäre. Gewiss, er hätte herausfinden

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