Die Traenen des Mangrovenbaums
können, an wen Wolkins die Wertgegenstände verkauft hatte, aber solches Fragen brachte Gerede mit sich, selbst unter den diskreten Chinesen. Der Jüngling war überzeugt, dass Wolkins seine Beute an einen chinesischen Händler verkauft hatte. Niemals hätte er gewagt, sie einem Javaner anzubieten, und die Holländer hätten ihm kein Geld dafür gegeben, sondern den Schatz kurzerhand als Kriegsbeute beschlagnahmt.
Er zügelte seinen Araberhengst und winkte Dongdo, der in respektvollem Abstand hinter ihm ritt, an seine Seite. »Komm her, Mann. Ich habe eine wichtige Aufgabe für dich.«
»Mein Gebieter befiehlt«, antwortete Dongdo. Aufmerksam lauschte er, was ihm aufgetragen wurde. Dann glitt er vom Rücken seines Pferdes und verschwand im Dschungel, der den Weg säumte, so rasch, dass selbst Herrn Raharjos scharfe Augen ihm nicht folgen konnten. Es war, als hätte er sich von einer Sekunde zur anderen in eine Gestalt aus Lianen, Blättern und Laubwerk verwandelt.
Der Jüngling ritt zufrieden weiter. Er wusste, wenn einer die Spuren von Herrn Wolkins’ Entdeckung ausfindig machen konnte, dann war es Dongdo. Denn Spuren musste es geben: aufgewühlte Erde, abgebrochene Zweige, abgetragenes Mauerwerk. Zumindest eine Regenzeit, vielleicht sogar mehrere, war darüber hinweggegangen und hatte viele dieser Spuren wieder verwischt, aber Dongdo hatte nicht nur Augen wie ein Luchs, er verfügte auch über eine geradezu unheimliche Fähigkeit, Dinge zu erspüren, die man weder sehen noch riechen konnte. Er würde die Stelle finden, an der irgendeine ungewöhnliche Veränderung vorgenommen worden war.
Und dann? Was würden sie dort entdecken? Selbst ein simpler Sommerpavillon einer Prinzessin war in diesen Zeiten eine Schatzkammer gewesen, voll bis unters Dach mit Hausrat aus Elfenbein und Gold, Jade und Silber, mit kostbaren Waffen, mit Ziergegenständen und Schmuck, voll auch mit barem Geld, das für einen großen Haushalt mit Dienern, Sklaven, Pferden und dergleichen gebraucht wurde – schweres Gold und Silber, keine lumpigen Banknoten, die in einer einzigen Regenzeit verschimmelten. Und es musste noch genug davon da sein, denn Wolkins war ein kluger Mann gewesen und sehr vorsichtig, er wäre nie mit einer Schubkarre voll altjavanischer Pretiosen zu einem Händler gefahren. Zweifellos hatte er da ein Stückchen, dort ein Stückchen verkauft, immer an jemand anderen – einen Händler, einen Kapitän, einen reichen Mijnheer, jedes Mal mit einer anderen Lügengeschichte, woher die Kostbarkeiten stammten.
Raharjo brauchte sich in dieser Hinsicht keine Gedanken zu machen. Für ihn sah die Situation ganz anders aus. Wenn es ihm gelang, die Schatzkammer zu finden und zu plündern, brauchte er ihren Inhalt nur zu seinem Großvater zu schaffen. Niemand würde jemals auf die Idee kommen, einen Adhipati zu fragen, woher das eine oder andere Juwel in seiner Sammlung stammte. Der alte Mann würde verrückt werden vor Freude, wenn er ihm die Schätze der Prinzessin von Pajajaran zu Füßen legte. Er würde einsehen, dass der Enkel eine Belohnung verdient hatte – in guten holländischen Gulden, wie die Waffenschmuggler sie gerne annahmen.
Der Jüngling lächelte bei dem Gedanken. Er wusste, was sein Großvater sagen würde. »Lieber hätte ich dir einen Stall voll Pferde, ein Landhaus oder ein Schiff geschenkt, mein kleiner Prinz« – er nannte ihn immer so –, »aber ich weiß, wonach dein Herz verlangt. Ich bin ein Mann des Friedens und der Beschaulichkeit, aber in dir brennt das Feuer des Elefanten-Generals. Kauf Gewehre und Munition. Und lass dich nicht erwischen.«
Das Land der Feuerberge
A llmählich führte die Reise der Anne-Kathrin in immer fremdartigere Gebiete des Globus. Sie ließen die Sinai-Halbinsel zur Linken und Afrika zur Rechten hinter sich und segelten bei gutem Wind hinaus in die endlose, dunkelblaue Weite des Indischen Ozeans. In Bombay gab es wieder einen kurzen Aufenthalt mit demselben Ausgehverbot wie schon in Algier und in Djibouti. Weiter ging es entlang der indischen Küste nach Ceylon, wo sie im Hafen von Colombo anlegten, und dann tauchte in der letzten Maiwoche aus dem Dunst die äußerste Spitze der Insel Sumatra auf.
Die Reisenden standen unter einem der Sonnensegel an Deck und beobachteten die langsam näher herangleitende Küste. Anna Lisa war selig, dass sie nun bald an Land gehen konnte. Dem Inneren des Ozeanriesen merkte man die lange Reise nämlich längst an. Die Kabinen mieften
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