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Die Traenen des Mangrovenbaums

Die Traenen des Mangrovenbaums

Titel: Die Traenen des Mangrovenbaums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne de Witt
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Greifschwanz durch die Öffnung und versuchte den Badeschwamm, die Seife oder das Handtuch zu erfassen. Eine weitere unangenehme Überraschung der javanischen Fauna war das reichlich vorhandene Ungeziefer. Mehrmals huschten Mäuse quer durch den Raum. In den dunklen Ecken des Badezimmers wimmelte es von winzigen schwarzen Käfern, die in langen Prozessionen geschäftig hin und her eilten und in den Ritzen verschwanden, nur um an anderer Stelle wieder aufzutauchen. Sympathischer waren die bunten Eidechsen, die hier Geckos hießen. Sie flitzten an den Wänden hoch und quer über die offenen Dachsparren, guckten mit ihren funkelnden Kugelaugen auf die Badende herab und warteten sichtlich, dass man ihnen Leckerbissen zuwarf.
    »Geckos sind in den Tropen das, was bei uns die Spatzen sind«, erklärte Fräulein Bertram. Ihr ernstes Gesicht verzog sich zu einem Lächeln. »Wenn man im Freien isst, springen sie auf den Tischen herum. Aber sie sind ganz harmlos, nur fangen und festhalten darf man sie nicht, da können sie beißen.«
    »Lieber Himmel«, bemerkte Anna Lisa. »Wenn bei uns ein Badezimmer so aussähe, käme ein Dutzend Kammerjäger angerückt! Stört es die Leute hier nicht, wenn ihnen beim Baden Mäuse und Käfer über die Zehen laufen?«
    »Selbst wenn es sie stört, sind die Javaner eher zögerlich damit, Tiere zu töten, wenn sie nicht für den Kochtopf oder ein religiöses Opfer bestimmt sind. Sie dürfen nicht vergessen, dass der Hinduismus hier immer noch einen gewissen Einfluss ausübt, auch wenn es nur noch wenige bekennende Hindus gibt. Man weiß nie, wessen Seele in einem Tier steckt.« Etwas herablassend fügte sie hinzu: »Sie brauchen ja nur zu sehen, welche Ehrerbietung Pahti dem Hund des gnädigen Herrn entgegenbringt.« Ihr Tonfall ließ keinen Zweifel daran, dass Tietjens für sie ein Hund war – ein Lebewesen, dem sie einen sehr niedrigen Rang einräumte. Schließlich kamen in der Bibel die Hunde schlecht weg: Sie fraßen wieder, was sie gespien hatten, und sie hatten das Blut der bösen Königin Jezebel aufgeleckt, als die sich aus dem Fenster gestürzt hatte.
    Anna Lisa entzog sich der theologischen Diskussion, indem sie das Badetuch verlangte. Sie ließ sich abtrocknen und ihr feuchtes Haar zu einem Zopf flechten, dann schlüpfte sie in ein leichtes Hauskleid und machte sich auf den Weg ins Esszimmer.
    Frisch gebadet sah das Leben gleich anders aus, und sie setzte sich erwartungsvoll an den Holztisch am Fenster. Dann fiel ihr ein, dass sie sich auch auf eine fremdartige Küche gefasst machen musste. Auf dem Schiff hatte man sich weitgehend am europäischen Geschmack orientiert, aber was mochte man ihr hier vorsetzen? Mit einigem Argwohn beobachtete sie, wie das Mädchen mit den roten Zähnen einen Servierwagen hereinschob. Anna Lisa fand sich umwölkt von fremdartigen Aromen: erhitztes Palmöl gemischt mit einer Unzahl süßer und scharfer Gewürze. Wenn man ihr hier nun Speisen vorsetzte, die sie mit aller Gewalt nicht hinunterwürgen konnte? Sie erinnerte sich dunkel an die Erzählungen der Kapitäne, die von solchen nationalen Leckerbissen ferner Länder wie Dörrfisch mit Ahornsirup und gekochten Schafsaugen berichteten. Als jedoch der Wagen in Sichtweite kam, atmete sie erleichtert auf. Ein ungewohntes, aber sehr reizvolles Aroma machte ihr den Mund wässrig. Und so besonders fremd sahen die Speisen auch nicht aus. Die Fleischspießchen mit Erdnusssoße waren leicht zu identifizieren, ebenso eine appetitlich angerichtete Platte mit currygewürztem Reis, Fisch, Gemüse und roten Chilis. An Besteck gab es nur Löffel und Gabel – auf ein Messer wurde verzichtet, da alles mundgerecht geschnitten auf den Tisch kam. An Getränken standen Tee und eine Flasche Genever zur Verfügung.
    Simeon, dem es sichtlich besser ging, seit er das ewig schwankende Schiff verlassen hatte, betrachtete die Flasche. »Die Leute hier saufen anscheinend wie die Bürstenbinder, wenn sie einem schon zu Mittag Schnaps auf den Tisch stellen.«
    »Wahrscheinlich denken die Einheimischen, alle Europäer sind Säufer, und man muss sie bei Laune halten, indem man ihnen immer eine Flasche hinstellt.« Anna Lisa probierte vorsichtig von den Fleischspießchen, dann von dem Currygericht. »Mhm … wenn hier jeden Tag so gekocht wird, kann ich mich an die Küche gewöhnen. Nur an die roten Chilis trau ich mich nicht heran. Die sehen schon so höllisch scharf aus, dass ich gar nicht reinbeißen möchte.«
    Simeon, der

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