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Die Traenen des Mangrovenbaums

Die Traenen des Mangrovenbaums

Titel: Die Traenen des Mangrovenbaums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne de Witt
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»Ich könnte im Pferdestall …«
    Tietjens bewies von Neuem ihre unheimliche Fähigkeit, die menschliche Sprache zu verstehen. Bei dem Wort »Pferdestall« veränderte sich ihre Körperhaltung, ganz unauffällig nur, aber mit der deutlichen Botschaft: So? Dann versucht mal, einen hundertvierzig Pfund schweren Hund gegen seinen Willen irgendwohin zu schaffen. Ach, und noch eine Kleinigkeit: Seht ihr diesen Fangzahn unter der Lefze?
    »Tietjens kommt in mein Zimmer«, erklärte Simeon in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. »Und beschaffen Sie ihr frisches Fleisch, Kaninchen oder dergleichen, das wird ihr gefallen.«
    »Gewiss, Mijnheer.« Herr Schuit, der die Botschaft des entblößten Fangzahns sehr gut verstanden hatte, nickte Tietjens entschuldigend zu. »Kaninchen. Vielleicht auch Innereien? Wir haben heute Mittag geschlachtet. Und Mijnheer selbst? Das Mittagessen aufs Zimmer? Wünschen Sie ein Bad?«
    »Und wie ich das wünsche«, seufzte Anna Lisa. Kaum zu glauben – da sah man Tag für Tag nur Wasser und hatte kaum genug davon, sich Gesicht und Hände zu waschen! Ein warmes Bad würde der Himmel auf Erden sein. Sie eilte sofort, das Badezimmer zu besichtigen, und wurde tief enttäuscht. Das wollte ein Badezimmer sein? In dem kahlen Ziegelgewölbe befand sich gerade einmal ein mächtiges gemauertes Becken mit Wasser und dazu zwei Eimer mit hölzernen Schöpflöffeln! Das nannte man hier baden?
    Fräulein Bertram, die schon mehr von der Welt gesehen hatte, erklärte ihr: »Man setzt sich hier nicht ins Wasser, sodass sich aller körperliche Schmutz darin löst; das gilt als unappetitlich. Man schöpft frisches Wasser und übergießt sich nur kurz damit, sodass es sofort wieder durch den Rost im Boden abfließen kann.«
    »Und Seife? Gilt die hier auch als unappetitlich? Womit waschen sich die Leute eigentlich?«
    »Mit den Blättern des Kapokbaumes. Die Einheimischen in den bäuerlichen Gebieten jedenfalls tun das.«
    »Dann werde ich Herrn Schuit um einige Blätter des Kapokbaumes bitten, denn mit irgendwas muss ich mich nach dieser endlosen Reise waschen. Ich fühle mich, als wäre ich von oben bis unten mit Schimmel bedeckt.«
    Die ehemalige Missionsschwester bemühte sich, den aufsteigenden Groll ihrer Herrin zu beschwichtigen. »Gnädige Frau, das hier ist Anjer, nicht Batavia. Im Hotel des Indes werden Sie ein Badezimmer mit allem europäischen Komfort vorfinden.«
    Anna Lisa seufzte. »Warmes Wasser werden wir aber bekommen, oder?«
    »Gewiss. Ich werde gleich welches bestellen. Und wir haben auch noch genug Seife im Gepäck.«
    Nun, immerhin etwas! Es dauerte auch nicht lange, da erschien ein etwa vierzehnjähriges Mädchen mit zwei Eimern voll heißen Wassers. Es sah hinreißend hübsch aus in seinem bunten Sarong und den kurzen Hosen, die zierliche Beine sehen ließen. Aber als es lächelte, zuckte Anna Lisa erschrocken zurück: Seine Zähne waren nicht nur so grässlich spitz zugefeilt wie die eines Hechtes, sondern auch von blutroter Farbe! Sie musste an sich halten, um ihren Schrecken und Abscheu zu verbergen, bis das Mädchen den Raum wieder verlassen hatte. Ein Glück, dass Pfarrer Semmelbrod ihr schon seinerzeit von der landesüblichen Gewohnheit des Betelkauens und ihren Folgen erzählt hatte sowie von der Eigenart der Javaner, dass sie große Zähne für einen üblen Schönheitsfehler ansahen und sich deshalb in einer schmerzhaften Prozedur die Zähne abschleifen ließen. Sonst hätte sie gedacht, einem leibhaftigen kleinen Teufel gegenüberzustehen!
    Wie es einem Familienoberhaupt zustand, war Simeon der Erste, der badete – besser gesagt, der sich auf einem Stuhl sitzend von Pahti einseifen und dann übergießen ließ. Anna Lisa durfte das Vergnügen erst nach ihm genießen. So war nun einmal der Lauf der Welt …
    Während sie mit Fräulein Bertrams Hilfe das ungewöhnliche Bad genoss, stellte sie mit einigem Unbehagen fest, dass die Tropen eine ebenso reiche wie aufdringliche Tierwelt für sie bereithielten. Vor allem zwei Tierarten gab es im Überfluss: wunderbar bunte, langschwänzige Vögel – und Affen in allen Farbtönen von schneeweiß über grau bis orangerot. Diese Affen umdrängten das Haus mit unverschämter Neugier, sie hielten sich mit ihren grauen, hornigen Händen am Fenstergitter fest und gafften herein, wobei sie keckerten, als machten sie untereinander unziemliche Bemerkungen über die nackte Europäerin. Hin und wieder wischte sogar ein langer silbergrauer

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