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Die Traenen des Mangrovenbaums

Die Traenen des Mangrovenbaums

Titel: Die Traenen des Mangrovenbaums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne de Witt
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zugleich hinaufstürmten und über die Fahrgäste herfielen. Dr. Lutter hatte die nötigen Arrangements getroffen, damit vier Matrosen den immer noch erbärmlich hinkenden Simeon in einem Tragsessel von Bord schaffen und mit einer Droschke zum Hotel des Herrn Schuit bringen sollten. Die Händler missverstanden die Situation, sie hielten einen Mann, der in einer Sänfte getragen wurde, für besonders wohlhabend und verdoppelten ihre Anstrengungen. Anna Lisa bekam schon Angst, ihrem kranken Mann könnte in dem wüsten Gedränge ein Leid geschehen, denn die Händler ließen sich selbst von den Hieben und Tritten der Matrosen kaum daran hindern, ihre auserwählten Opfer mit Gewalt anzupacken. Dann stellte sie fest, dass Tietjens’ Anwesenheit ihnen von großem Nutzen war: Beim Anblick des riesigen Hundes erstarrten die Bettler und Händler, die sich eben noch auf sie hatten stürzen wollen, und dann wichen sie kreischend und jaulend so überstürzt zurück, dass einer den anderen über den Haufen rannte. Tietjens schritt würdevoll durch eine breite Gasse, begleitet von Pahti, der sie mit Lob und Dank überhäufte.
    Anna Lisa kletterte eilig das Fallreep hinunter. Nach der langen Zeit auf See fiel es ihr zunächst schwer, wieder auf festem Boden zu gehen. Ihre Knie wackelten, und sie musste sich am Arm des stabilen Fräulein Bertram festhalten. Gesine war nicht mitgekommen, sie wartete bei ihren Eltern an Bord der Anne-Kathrin darauf, dass das Schiff weiterfuhr.
    Nach der Frische der Meeresluft erschien es der jungen Deutschen an Land unerträglich stickig, vor allem der Wind war glühend heiß und strich mit einem Hauch über die Vegetation, der die Blätter vergilben und die Blattfächer schlaff herabhängen ließ. Ein Schwall von Gerüchen, die nicht alle angenehm waren, drang auf sie ein. Anna Lisa brach am ganzen Körper der Schweiß aus, rann ihr über die Stirn. Wie sollte sie diese Hitze auf Dauer aushalten – in ihrem Kleid mit dem langen Unterrock, dem Mieder und dem eng geknöpften Jäckchen? Ganz zu schweigen von den knöchelhohen Knöpfschuhen? Da hatten es die Einheimischen gut, die in losen, leichten Kleidern herumliefen, die Frauen in eng gewickelten Sarongs, die Männer in kurzen Hosen und mit einem Turban auf dem Kopf.
    Überall herrschte tiefe Ruhe. Es war um die Mittagszeit, und wie überall in den Tropen arbeitete zu dieser Stunde nur, wer unbedingt arbeiten musste, wie die Schauerleute, die ihre schwere Last an Bord schleppten: alle die auf dem Kai gestapelten Kisten, Fässer und Säcke mit Kargo wie Tabak, Kaffee, Tee, Pfeffer, Reis, Zucker, Kopra, Edelhölzer und Kautschuk. Wer es sich irgend leisten konnte, zog sich an einen kühlen Ort zurück, die Reichen in ihre Schlafzimmer, die Armen in den Schatten eines Baumes.
    Für die jungen Vanderheydens als Verwandte des Reeders gab es natürlich eine Vorzugsbehandlung. Sie wurden mit den anderen besonders prominenten Gästen in Herrn Johan Schuits Hotel einquartiert. Auf einer Anhöhe unmittelbar über dem Hafen gelegen, war es das bedeutendste Hotel von Anjer, wenngleich es für europäisch-städtische Verhältnisse sehr bescheiden gewirkt hätte. Es diente als lokaler Stützpunkt der weltweit tätigen Versicherungsagentur Lloyd’s und bildete das Zentrum des gesellschaftlichen Lebens in der bescheidenen Hafenstadt. Zum ersten Mal sah Anna Lisa sich der fremdartigen Architektur der Insel gegenüber. Was sich da im Schatten riesiger, graubärtiger Banyan-Bäume und federblättriger Zykadeen duckte, waren niedrige Pavillons mit aus Palmblättern geflochtenen Dächern und von weißen Steinsäulen gestützten Veranden. Eine säuberlich gestutzte Hecke von Büschen umgab das Areal. Sie hauchte einen öligen, wunderbar aromatischen Duft aus. Simeon schnupperte wie ein Hund, der Braten riecht. »Wie das duftet!«, bemerkte er. »Und hübsch ist es auch. Wie heißt das da, Pahti?«
    »Mengkuang, Mijnheer, und man macht nicht nur Parfüm daraus, sondern auch Heilmittel.«
    Sie wurden vom Hotelier persönlich in ihr Quartier geleitet. Neben einem großen Schlafzimmer mit einer Veranda und einem kleinen Esszimmer umfasste ihre Suite zwei Dienerzimmer und – was Anna Lisa hellauf begeisterte – ein Badezimmer.
    Herr Schuit erwies sich als überaus kompetenter Gastgeber. In kürzester Zeit war alles arrangiert. »Und für Ihren Hund werden wir auch einen guten Platz finden.« Der Hotelier lächelte Tietjens an, hielt aber wohlweislich Abstand von ihr.

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