Die Tränen meines Vaters
Binsengeflecht, den Glastischen, den leicht stockigen Möbeln eines immerwährenden Sommers.
«Ich hab’s immer getan», sagte Leila. Ihm verziehen. Was? Dass er sie fickte? Dass er hinterher halb in Panik sein Auto nahm und, Staub aufwirbelnd, die waldige Straße hinunterraste?
Bei Hühnchensalat, Weißwein, Eistee und Key-Lime-Pie erfuhr jeder vom andern genug über die getrennt verbrachten Jahrzehnte. Leilas Männer, Henrys eheliche Tragödie, ihre verstreuten Kinder, die zu erwartenden physischen Schmerzen, die vorhersehbaren Selbstverleugnungen, mit deren Hilfe sie versuchten, in Form zu bleiben und sich das Gefühl von Wohlbefinden so lange zu erhalten, wie sie konnten. Sie waren auf die gleiche Weise eitel, fiel ihm auf, was ihre physische Gesundheit anging.
«Warum hast du Pete alles erzählt und bist mit ihm nach Süden gegangen?», fragte er schließlich. «Wolltest du mir entkommen? Gab es keine andere Möglichkeit?»
Es war, als habe sie es vergessen und könne sich nur unter Mühen einen derart fernen Moment vor Augen rufen. «Ach … wir hatten oft über Forida gesprochen, und dann gab es hier plötzlich den richtigen Job für ihn. Ich musste Hausputz machen. Du warst Schmutz unterm Bett. Lieber Henry, schau nicht so traurig. Es war Zeit.» Sie wandte den Kopf, und das Profil ihrer Mutter fiel ihm ein; Leilas sah jetzt genauso aus.
Als er sie beim Reden und Gestikulieren beobachtete, sah er, dass Leila vulgär geworden war, in der Art einer Frau, die nichts weiter zu tun hat, als sich um ihren Körper und ihre Finanzen zu kümmern. Aber eine vulgäre Gier nach Leben war Teil dessen gewesen, was er geliebt hatte. Ihre Begierden waren direkt und einfach gewesen. In zwei Stunden hatten sie genug gesagt; lange vertrauliche Mitteilungen und komplizierte Geständnisse waren nie ihre Sache gewesen. Die Situation, in der sie waren, hatte für den jeweils anderen auf der Hand gelegen, und ihre Zeit miteinander war zu intensiv gewesen, zu selten, zu skandalös erschlichen, um mehr zu wollen, als einander zu besitzen und zu entzücken. Jetzt, da die Schatten dunkler wurden in ihrem rührenden Condo mit den Metallmöbeln und in der Mall gekauften Aquarellen und die tief im Westen stehende Sonne letzte Strahlen über die Rattanmatten in das Zimmer schickte, in dem Leila und ihr Gast, zu Weißwein zurückgekehrt, still am Glastisch saßen, ergriff ihn eine kaum merkliche Unruhe; er war es nicht gewohnt, so lange mit ihr allein zu sein, bis in den späten Nachmittag. Ficken und nichts wie weg, so hatte er’s immer gehalten.
Sie erhob sich, stand fest auf ihren nackten Füßen. Die unbequemen Sandaletten hatte sie abgestreift; die Riemchen hatten rote Striemen auf ihren knochigen, blaugeäderten Risten hinterlassen. Ihre Füße waren blau geädert und sehnig gewesen, vor dreißig Jahren. «Wie wär’s mit Schwimmen?», fragte sie.
«So spät noch?»
«Es ist die beste Zeit am Nachmittag», sagte Leila. «Die Luft ist noch warm, die Kids sind reingegangen, die Hydrotherapie für die Krüppel ist vorbei.» Sie fasste sich an die Schulter, als fange sie an, sich auszuziehen.
«Ich habe keine Badehose dabei.»
«Du kannst eine von Jims nehmen. Er hat drei oder vier hiergelassen.» Sie lachte. «Das Band in der Taille lässt du offen. Er war ein großer Junge, hat immer mit den Knöcheln über seinen Waschbrettbauch gerubbelt und erwartet, dass mich das begeistert.»
Henry stand auf, erfreut, noch einmal und ohne Hast neben Leila zu stehen – ihr ernster kleiner Mund, die Oberlippe zu einem Kamm aus winzigen senkrechten Falten verwittert, und ihre schönen Augen, funkelnd wie Edelsteine in zerkrumpeltem Papier, leuchtende nussbraune Erinnerungen an den sehnlichen Wunsch seiner Mutter, er möge leben, ein Mann sein, um ihretwillen. Die Einladung versetzte ihn in Panik. «Ich –»
Auch er war illoyal gewesen, wie sie es gegenüber Jim und seinem Waschbrettbauch gewesen war, gegenüber Jims Vorgänger und seinem Geld, gegenüber Pete und dem Gebrauch, den er von ihr gemacht hatte. Zwei Jahre lang hatte er neben Irene gelegen und die Krankheit in ihr wachsen gefühlt wie ein gemeinsames Kind. Er war wach geblieben im Schatten ihres Schweigens, staunend über die nackte unnahbare Schönheit ihres Stoizismus. Im Dunkel waren ihre Schmerzen wie ein weißglühendes Licht gewesen. Gegen Ende, in den Intervallen, wenn der Nebel der Schmerzmittel sich hob, sprach sie zu ihm, wie sie es nie zuvor getan hatte, leicht,
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