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Die Tränen meines Vaters

Die Tränen meines Vaters

Titel: Die Tränen meines Vaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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sehen, was ihr euch da alle anschaut. Es macht Angst.»
    «Hab keine Angst», sagte ihre jüngere Schwester zu ihr und dann, halb zu Dan: «Meine Lehrerin in der Schule sagt, die Lichter sind wie der Regenbogen. Sie bedeuten, dass es nie wieder passiert.»

Spanisches Präludium zu einer zweiten Ehe
    «Du verläufst dich», sagte sie zu ihm. «Genauso wie du’s in Brookline oder im South End machst. Das ist deine Art, du findest das putzig, aber sieh mal hinaus! Es schüttet wie aus Kübeln.»
    Er ignorierte das Klischee. Sie dachte in Klischees, aber das war nicht die schlimmste Sünde. «Wie könnte ich mich verlaufen?», sagte er. «Ich sehe doch die Kathedrale von hier aus.» Sie wohnten im Hotel Alhambra Palace, mit Blick über Granada, Brad Quigley und seine langjährige Gefährtin Leonora Katz; es war ein Experiment, sie wollten sehen, ob ihre lange Beziehung auf einer gemeinsamen Ferienreise in die Ehe führte oder zum Bruch. Sie war Mitte fünfzig; er war sechzig. Sie arbeiteten in verschiedenen Firmen im klaren Stauwasser der Bostoner Finanz und kannten einander – anfangs rein kollegial – seit fünfzehn Jahren. Ihrer beider Position und Einkommen waren gleich; Leonoras beruflicher Erfolg schirmte sie beide, bis zu einem gewissen Grad, vor der in der Luft liegenden Frage einer legalisierten Verbindung ab. Es gab fast keinen Grund, warum sie nicht so weiterleben sollten wie bisher, mit getrennten Apartments, Einkommen und Freunden. Und doch … eine kleine sprühendeBrünette, wurde sie unter seinen Augen spröde, ihre Gesten wurden ruckhafter, sie brauste schneller auf, in ihren Urteilen war sie bissiger, neigte jedoch zu jähen Meinungsumschwüngen und zu Selbstzweifeln. Seit Gymnastikstunden und Konditionstraining Mode geworden waren, sah Leonora zu dünn aus – als leide sie Mangel. Ihre zartknochige Schönheit entsprach dem Stil frugaler Ernährung von Cambridge und Beacon Hill. Sie ließ sich nicht dazu herab, das Grau in ihren Haaren zu tönen, die sie lang gelassen hatte und hinten zu einer festen Rolle zusammendrehte, und die vom Blinzeln herrührenden Linien in ihrem Gesicht wurden tiefer und betonten den immer häufiger sich zeigenden Ausdruck einer ein wenig schwerhörigen Person, die den andern vorwirft, nicht lauter zu sprechen.
    «Meine Mutter würde wollen, dass ich hingehe», sagte er.
« Mi madre.
Sie würde wollen, dass ich mir die Grabmale von Ferdinand und Isabella ansehe. Sie hat sie so geliebt.»
    «Als wüsste ich das nicht», sagte Leonora, dabei waren die beiden Frauen einander nie begegnet. Brad war schon einmal in Spanien gewesen, vor zwanzig Jahren, zusammen mit seiner Mutter, einer nie publizierten Schriftstellerin, die Recherchen für einen Liebesroman über die beiden legendären Monarchen und ihr einziges überlebendes Kind, die unglücklich liebende Johanna die Wahnsinnige, anstellte.
    Es war eine merkwürdige Reise gewesen, beginnend mit einer für Brad demütigenden Verlegenheit, als der emsige Angestellte an der Rezeption des Hotels in Madrid, sich auf Englisch irrend, seine Mutter «Ihre Frau» genannt hatte. Der Angestellte hatte, sie beide taxierend, rasch, mit einem selbstkritischen kleinen Lachen, seinen Fehler korrigiert und «Ihre Mutter» gesagt, aber für Brad hatte eine Verwechslungzwischen seiner Mutter und seiner Frau eine abgründige Plausibilität. Nicht, dass seine Mutter so aussah, als könnte sie seine Frau sein, sie war grauhaarig und stämmig; er hingegen war vierzig und frisch geschieden, aber welche Ehefrau würde er je so gut kennen, wie er sie kannte? Schon als Fötus war er eingestellt auf ihre Stimmungen, ihre inneren Bewegungen; sie war für ihn weniger eine andere Person als ein überwölbendes Wetter. Um ihre Beziehung zu neutralisieren, hatte er vorgeschlagen, dass sie seine fünfzehnjährige Tochter Belinda mitnähmen, die von der Scheidung am härtesten betroffen gewesen war.
    Etwas Belastendes und Trauriges an der ganzen Unternehmung hatte ihn jede Nacht in seinem Hotelbett wach gehalten, erinnerte er sich. Seine Aufgabe war es gewesen, seine Reisegefährtinnen jeden Tag von Madrid zu einer der Städte zu fahren – Segovia, Avila, Valladolid, Toledo –, wo seine Mutter eine Spur, einen unschätzbaren Hinweis gefunden hatte in den Schriften von Prescott und Washington Irving und John Foster Kirk, deren historische Darstellungen sie auf dem College betört hatten. Sie konnte zwar ganz gut Spanisch lesen, zum Sprechen aber war sie zu

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