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Die Tränen meines Vaters

Die Tränen meines Vaters

Titel: Die Tränen meines Vaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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Türen zusammen eingewickelt und sie dann so an dieWand gelehnt, dass ihr Gewicht die Plane oben und unten festhielt. Der blaue Knauf war an der Innenseite, zur Wand hin. Fairchild hatte seine Lesebrille im Haus gelassen, und so konnte er den Kopf der kleinen Schraube nicht finden, die den Knauf festhielt. Das Licht, das durch die schmutzigen Fenster hoch oben fiel, reichte nicht aus. Er zog die Türen ein Stück zu sich hin, näher an das bisschen Licht. Den Kopf schief haltend, um einen besseren Blickwinkel zu haben, schien ihm, dass gar keine Schraube da war; in dem Loch, in dem eine hätte sein sollen, steckte so etwas wie ein Nagelkopf, etwas, das man mit einer spitzen Zange würde herausziehen müssen. Er hatte keine Zange mitgenommen.
    Warum war alles im Leben so schwierig?
    Um ein bisschen besser zu sehen und den blauen Knauf ein paar Zoll weiter von der Wand wegzuholen, zog er die Türen in ihrer hinderlichen schweren Umhüllung zu sich heran, sodass sie jetzt in einer prekären senkrechten Position an seiner Schulter lehnten.
    Plötzlich wurde er, wie auf der Straße in Sevilla, unaufhaltsam nach unten gedrückt, von einer Kraft, die er anfangs nicht begriff. Dann wusste er’s: die Türen fielen auf ihn. Zusammen drückten die beiden Türen aus massiver Eiche ihn flach, mit dem Gesicht nach unten, auf einen Stapel alter Kiefernbretter, die er aus absurder Sparsamkeit und Trägheit aufbewahrt hatte. Die rauen Kanten schürften ihm die Knie auf. Splitter bohrten sich in die Seite seiner rechten Hand. Während sein Gehirn diese Verletzungen registrierte, fühlte er, dass das Gewicht der Türen weiter fiel, an ihm vorbei, über ihn hinweg; in dem Sekundenbruchteil, bevor es passierte, wusste er, was passieren würde: die Türen würden in die obere Hälfte des Eckschranks krachen, sie würde vonihrem Platz auf der unteren Hälfte herunterstürzen, und alles wäre zerschmettert und zerstreut – Pfeilspitzen, Belohnungsplaketten, Vasen, Körbchen, Figurinen und die neun Scheiben aus unersetzlichem alten welligen Glas.
    Der Tumult der Verwüstung, während Fairchild mit geschlossenen Augen und brennenden Knien auf den sinnlos aufbewahrten Holzbrettern lag, kam in Schüben: auf Schlimmes folgte Schlimmeres, auf Schlimmeres das Schlimmste und dann Stille. Winterwind wisperte in einem Winkel unterm Scheunendach. Eine Glasscherbe löste sich zögernd und klimperte zu Boden. Alles war zerstört, zerschellt, zerstreut. Fairchilds Gehirn, das so schnell arbeitete wie eine Strickmaschine, hatte in einem Sekundenbruchteil alles kommen sehen. In diesem Sekundenbruchteil war er nicht deprimiert gewesen.

Deutschunterricht
    Boston hatte etwas Struppiges, Trostloses in jenen Jahren, den Mittsiebzigern. Immer noch gingen Mädchen mit langen Haaren und langen Röcken und bloßen Füßen durch die Charles Street, aber die Blüte der Sechziger war dahin; man hatte Sorge, dass diese Blumenkinder in Glasscherben treten könnten oder dass Parasiten sich in ihre schmutzigen Fußsohlen bohrten, die grün gefärbt waren vom Umherschlendern auf dem grasbewachsenen Common. Die Kulturrevolution war unsauber geworden.
    Ed Trimble fühlte sich unsauber und schuldig. Er war allein in die Stadt gezogen, hatte seine Familie in New Hampshire zurückgelassen. Er und seine Frau hatten eine kleine Immobilienfirma in Peterborough, und die meisten Geschäfte schloss Arlene ab. Sie hatte mehr Schwung und liebenswürdigere Umgangsformen; sie ließ ihre wahre Meinung über ein Grundstück nicht durch ihren Tonfall erkennen, wie er es tat. Er hegte einen Groll gegen ihren überlegenen Erfolg und wusste, sie würde den Betrieb zusammenhalten, wenn er sich für eine Weile zurückzog. Er brauchte Platz; manches hing völlig in der Luft. In diesem Interim, mit den sudeligen Annehmlichkeiten einer Stadtrings um sich, sah er eine Chance, ein paar seiner Lücken zu füllen. Geleitet von den Gelben Seiten, schrieb er sich an einem sogenannten Fremdspracheninstitut in Cambridge für einen Deutschkurs ein.
    Das Institut war, wie sich herausstellte, ein gewöhnliches Holzhaus nördlich vom Central Square, und die Klasse bestand aus einer Handvoll strubbeliger anderer Lückenfüller, manche von ihnen nicht jünger als er, und das Unterrichtszimmer war ein kleiner Raum im Souterrain, in dem unmäßig viele Leuchtröhren brannten, als sollte die Kleinheit mit Helligkeit wettgemacht werden. Die Lehrerin hieß Frau Mueller – Müller auf Deutsch –, und das Lehrbuch

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