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Die Tränen meines Vaters

Die Tränen meines Vaters

Titel: Die Tränen meines Vaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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schwarzen Haaren
en brosse
, sein Gesicht wenige Zoll entfernt und rührend verzerrt vor Anstrengung, seine Beute zu behalten. Alles in Spanien hatte sich näher angefühlt. Es hatte Kontakt gegeben.
    Mrs. Fairchild indessen führte ein immer emsigeres amerikanisches Leben mit ihren Komitees und Bridge-Gruppen und Lesezirkeln und Maniküre-Terminen. Sie hatte sich der universalen Dispersion angeschlossen, in deren Zentrum Fairchild sich empfand. Eines Tages beauftragte sie ihn beim Hinausgehen mit einer kleinen Aufgabe, die, wie sie geduldig hinzufügte, «sogar er» schaffen könne. Vergangenen Sommer hatte sie, gegen seinen Rat, entschieden, dass die beiden schweren hohen Türen, die sich zum Wohnzimmer hin öffneten, entfernt werden sollten. «Ich
hasse
stickige Zimmer», sagte sie und war nicht zu bremsen. «Luft! Licht!» Es würde das Haus luftiger machen, aber (erklärte er vergeblich) es wäre schwerer zu heizen.
    Zu schwer, als dass er sie hätte heben können, waren die Türen von zwei jungen Männern in die Scheune hinuntergetragen worden und lehnten, in eine Persenning gewickelt, in einer Ecke, für den wenig wahrscheinlichen Fall, dass sie eines Tages wieder eingehängt werden würden, wenn nicht von den Fairchilds, dann von den nächsten Besitzern – selbst das Haus, indes seine Zeit darin hinschwand, entfernte sich von ihm. Eine der Türen hatte einen blauen Knauf aus seltenem alten Kobaltglas, und Carol wollte, dass der Knauf irgendwo montiert würde, wo sie ihn sehen und sich an seinem Anblick erfreuen könnten. Wäre es wohl möglich, dass er hinunterginge und den Knauf abschraubte? «Wirklich, Marty, ein
Kind
könnte das», sagte sie.
    Es war ein klarer Tag im Februar, mit einer kühlen Brise. Die Scheune war ein Relikt aus der Pferd-und-Buggy-Ära mit mehreren Boxen und Futterkrippen und einem großen freien Raum in der Mitte, den die Fairchilds nach und nach vollgestellt hatten mit Sachen, die wegzuwerfen sie nicht dasHerz oder die Vorstellungskraft hatten. Ihre Kinder hatten sperrige Berge von Schulbüchern hinterlassen, Fahrräder mit platten Reifen, kaputtes Spielzeug, nicht mehr abspielbare Schallplatten mit 33 1 / 3 Umdrehungen. Tote Vorfahren hielten sich hartnäckig in Form gerahmter Diplome, Gartengerätschaften und muffiger Schrankkoffer, vollgestopft mit Kleidern und Briefen, älter als die Scheune selbst.
    Nach einem erschreckenden Augenblick seniler Leere im Kopf erinnerte Fairchild sich an die Zahlenkombination des Vorhängeschlosses. Die mit Kreosot bestrichenen Scheunentüren öffneten sich knarrend. Im Innern, erhellt durch schmutzige Glasfenster hoch oben, herrschte die erwartungsvolle Stille einer verlassenen Kirche. Die beiden Wohnzimmertüren lehnten in ihrer beigefarbenen Persenning an der Wand, ungefähr zwei Meter hinter einem antiken Eckschrank aus Kirschholz, den Fairchild geerbt hatte, als seine Mutter starb.
    Der imposante dreiwandige Schrank war in seiner Kindheit ein respekteinflößender Gegenstand gewesen, ein erlesenes Exemplar aus den Möbeltischlereien Philadelphias und ein hochragender Beweis für den Anspruch seiner Familie auf Ansehen und Vornehmheit. Vom Standpunkt eines Kindes gesehen, hatte er das ernste Geheimnis von Besitz ausgestrahlt. Dinge zu kaufen und sie dann ganz für sich zu haben und sie sicher auf Regale zu stellen und zu wissen, dass die Regierung und ihre Gesetze und die Gesetzeshüter andere daran hindern würden, einem die Dinge wegzunehmen, war ihm als feierliches Privileg erwachsenen Lebens vorgekommen. Er konnte es immer noch kaum ertragen, sich von etwas zu trennen, das ihm gehörte. Selbst die ältesten Kleidungsstücke konnten noch als Putzlappen benutzt werdenoder als Schutzkleidung für eine sehr schmutzige Arbeit, schmutziger als diese hier.
    Der Eckschrank bestand aus zwei Teilen, der untere hatte zwei in Felder eingeteilte Türen, und auf ihm ruhte, ohne Befestigung, nur gehalten durch die Schwerkraft, ein gleich großer Teil mit nur einer Tür, in die neun Scheiben aus welligem alten Glas eingelassen waren. Die Borde hinter dem Glas waren früher mit selten benutztem Familienporzellan beladen gewesen; die schimmernden Reihen hatten unveränderlich den Ehrenplatz im Esszimmer gehabt, während Fairchild, als Kind, auf dem Teppich spielte oder am Esstisch Buntstiftzeichnungen anfertigte, die von seiner Familie sehr bewundert wurden. Als seine Mutter nach langer Witwenschaft starb, war ihm der Schrank als das kostbarste Stück ihrer

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