Die Tränen meines Vaters
grinsend. Sie waren zusammen Jungen gewesen, auf benachbarten Farmen, aber ihre Versuche, miteinander zu spielen, waren fehlgeschlagen. Enoch, ein Jahr jünger als David, hatte einen Softball und einen Schläger mit auf den Hof der Kerns gebracht – die Reichardts hatten keinen Hof, allen Raum zwischen den Gebäuden brauchten sie für Geräte und Tiere –, und David, erst seit kurzem ein Teenager und noch nicht gewohnt an seine Kraft, hatte den Ball weit über die Scheune geschlagen in das Dorngestrüpp und den Giftsumach auf der anderen Straßenseite, wo das eingestürzte Fundament des alten Schuppens zum Trocknen der Tabakblätter war. Die Straße schwang damals, bevor sie gepflastert und begradigt wurde, näher an die Scheune mit der breiten Lehmrampe heran, senkte sich dann hügelabwärts und führte an der Wiese entlang und vorbei am Tulpenbaum. Obgleich die Jungen zwanzig Minuten lang suchten, von Dornen zerkratzt und von Mücken zerstochen,fanden sie den Ball nicht wieder, und Enoch kam nie wieder zum Spielen herüber.
Heute, mehr als fünfzig Jahre später, schien er keinen Groll mehr zu hegen, und Kern war froh, jemanden seines Alters zu treffen, der so gesund aussah – stämmig und braun gebrannt, den Regen an sich ablaufen lassend, als sei er mit Wachs überzogen. Sein Grienen zeigte gerade weiße Zähne. Enochs Zähne waren schief und braun gewesen und mussten ihm jahrelang Schmerzen bereitet haben. Er fragte seinen Besucher, ob er seine Felder sehen wolle und wie sie bewirtschaftet würden.
«Es ist ziemlich nass da draußen», sagte Kern. «Ich glaube, ich bekomme auch so einen Eindruck.»
Er hatte für diesen Abend ein Treffen mit zwei alten Olinger-High-Klassengefährten und ihren Ehefrauen im Country Club von Alton arrangiert und trug einen Burberry, einen grauen Anzug und schwarze Loafers mit dünnen Sohlen, die er in einer Mall in Simi Valley gekauft hatte.
Enochs unheimlich weißes Lächeln wurde noch breiter, als er erklärte: «Wir fahren in meinem Auto. Das dauert keine Minute. Wir haben ein paar neue Ideen gehabt, seit du das letzte Mal hier warst. Mein Auto steht gleich draußen. David, soll ich dir einen Schirm holen?»
«Sei nicht albern», sagte Kern. «Es nieselt doch bloß.»
«Na gut. Ich seh das auch so», sagte Enoch. «Aber ich weiß, dass du in Kalifornien nicht viel Regen kennst.»
Sein Auto war ein beruhigendes Relikt – eine schwarze Ford-Limousine, alle Chromteile schwarz lackiert. Die einstigen Spielgefährten rutschten hinein. Nicht weit entfernt, am Rand des vergrößerten Parkplatzes, auf dem selbst bei diesem Wetter ein Dutzend Autos und Vans standen, wardie erste der neuen Ideen zu besichtigen – eine Art Nissenhütte aus weißem Plastik, aufrecht gehalten von gewölbten Streben. «Weißt du noch, wie wir immer Erdbeeren gepflanzt haben?», fragte Enoch.
«Wie könnte ich das vergessen.» Erdbeeren waren Davids 4- H-Projekt gewesen, eine Möglichkeit, ein paar hundert Dollar im Sommer zu verdienen für die College-Kosten, die ihm bevorstanden. Mit seiner Mutter an der Route 14 zu stehen und sie zu verkaufen hatte ihn gedemütigt – sie hatte so getan, als verstehe sie nicht, warum.
Enoch bremste. «Hast du Lust reinzuschauen?»
David hatte das Gefühl, dass ihm keine Wahl blieb, obgleich der Regen stärker zu werden schien und der Burberry Regen zwar aushielt, aber nicht regenundurchlässig war. Enoch riss in seiner stolzen Aufgeregtheit einen Spalt im Plastik weiter auf, und David spähte hinein. Er sah Erdbeerpflanzen in mehreren schmalen langen Trögen, vier Fuß über dem Boden, sodass die Beeren, die im November reif waren, in schiere Luft herunterhingen, wie Kirschen, wie Weihnachtsschmuck. «Hydrokultur», erklärte Enoch ihm. «Die Plastikfolie hält die Wärme im Innern und nutzt den Solareffekt; die Nährstoffe tröpfeln alle durch einen Schlauch herein. Es gibt keinen Schmutz.»
«Keinen Schmutz», wiederholte David benommen.
«Erinnerst du dich, wie die Beeren alle auf der Erde lagen und voller Sand waren? Und die Schildkröten und Schnecken sie anfraßen, bevor man sie pflücken konnte?»
«Und wie einem der Rücken wehtat, weil man vornübergebeugt mit gespreizten Beinen über den Reihen stehen musste. Die Weberknechte sind einem die Arme raufgeklettert.»
«Das war mal», sagte Enoch, erfreut, dass David sich erinnerte. «Diese hier pflückt man im Stehen. Sie tragen den ganzen Winter, wir müssen nur Heizkörper aufstellen und
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