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Die Tränen meines Vaters

Die Tränen meines Vaters

Titel: Die Tränen meines Vaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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fort in das seines Vaters. Er und sein Vater, ein Lehrer, waren täglich gemeinsam diese Strecke gefahren, fort von der Farm in die Region von Schulen, von dicht zusammenstehenden Reihenhäusern, von urbanen Vergnügungen.
    Kern wollte die Nacht im Alton Motor Inn in West Alton verbringen, hatte es aber nicht eilig, dorthin zu kommen, er hätte durch den neuen Teil mit den Malls gemusst und über Highways, die in den letzten Jahren entstanden waren. Er bog von der 14 ab, fuhr am jüdischen Friedhof vorbei und unter der Eisenbahnbrücke nach Alton hinein, dann über eine Brücke, die sein Vater, zu Beginn der Depressionszeit arbeitslos, mitgebaut hatte: er hatte Pflastersteine gesetzt und sie Kante an Kante zwischen den Straßenbahnschienen festgestampft. Seine Erinnerung an jenen Sommer war nichts als eine Hölle von Rückenschmerzen gewesen, und sein Sohn überquerte nie diese Brücke, ohne sich vorzustellen, dass Tropfen von seines Vaters Schweiß ein Teil von ihr waren, eingetrocknet in den Beton. Die Generationen vor Kern hatten nicht nur ländliche Spuren in diesem County hinterlassen.
    Alton war eine sterbende Stadt, aber seine Bewohner lebten beharrlich weiter. Sein Niedergang, von dem David dachte, er habe während seiner Kindheit begonnen, den seine Großeltern und Eltern aber früher ansetzten, noch vor der Wirtschaftskrise, hatte eine Bevölkerung zurückgelassen, die das dichte Straßennetz bewohnte wie schläfrige Wespen, die sich am Ende des Sommers in einem alten Papiernest aneinanderdrängen. Schon in seiner Kindheit hatte die ehrwürdige Industriestadt in großen Mengen Männer hervorgebracht, von denen das Kind gedacht hatte, es seien weggeworfene Männer – Männer aus der Arbeiterschicht, deren Handwerk eingegangen war und die den ganzen Tag nichts anderes mehr zu tun hatten als Zigaretten zu rauchen und auf den Besuch der Kneipe zu warten, um einer erlaubten Beschäftigung nachgehen zu können. Durch Süd-Altonfahrend, sah Kern sie zwischen den hin und her schlagenden Scheibenwischern auf winzigen Veranden stehen und den Regen beobachten, wie er von den Aluminiummarkisen tropfte und die Kunststoffverkleidungen dunkel färbte.
    Er fuhr weiter, in die breiten Blocks der Weiser Street, wo die Straßenbahnen klingelten und vorüberfuhren, wo einkaufende Leute und Kinogänger sich drängten und wo David während des Kriegs, als seine Eltern noch eine Straßenbahnfahrt entfernt wohnten, systematisch alle Billigkaufhäuser durchstreifte, von Grant und McCrory bis hinauf zu Woolworth und Kresge, auf der Suche nach Big Little Books, um seine Sammlung zu vergrößern. Für zehn Cent das Stück war es möglich, selbst bei einem wöchentlichen Taschengeld von fünfunddreißig Cent, sich einen ansehnlichen Schatz zuzulegen. In allen Kaufhäusern war eine warme Wolke von Parfum und Bonbonduft gleich hinter den Eingangstüren, und manche hatten hinten eine Haustierabteilung mit Kanarienvögeln, Wellensittichen und Goldfischen. In Alton, so schien es ihm damals, gab es alles zu kaufen, was ein Mensch sich im Leben nur wünschen konnte.
    Von Ned Miller, einem der wenigen Highschool-Klassenkameraden, mit denen er in Kontakt geblieben war, hatte er erfahren, dass Blankenbillers Warenhaus abgerissen wurde, um Platz zu schaffen für eine neue Bank.
Eine sterbende Stadt
, dachte Kern,
und sie ziehen weiter Bankgebäude hoch
. In den alten Tagen konnte man keine Parklücke an der Weiser Street finden; jetzt glitt er ohne Mühe in eine hinein, auf der Blankenbiller-Seite des Platzes. Nicht nur das stattliche alte Warenhaus mit seinen schmiedeeisernen Käfigfahrstühlen und den an der Decke entlanglaufenden pneumatischen Rohren für die sausenden Messingbehälter, die Wechselgeld undQuittungen aus einer im Stockwerk darüber verborgenen Schatzkammer brachten, nicht nur das Blankenbiller wurde abgerissen; eine Reihe von Gebäuden daneben, wo es, wie Kern sich erinnerte, Schuhe und Bürobedarf und Haushaltswaren zu kaufen gab, war verschwunden, Mauern entblößend, deren schludrig hingeklatschter Mörtel nie dazu gedacht gewesen war, dass man ihn sah, und Kellerräume, jetzt mit Schutt gefüllt, die seit ihrem Bau kein Tageslicht gesehen hatten. Selbst bei Regen, während der Nachmittag allmählich dunkler wurde, schürften missmutig knirschende Heckbagger im Schutt herum.
    Seine Mutter hatte ihm einmal erklärt, warum sie dick geworden war: sie gab dem Souterrain-Restaurant bei Blankenbiller die Schuld, wo die Apfel-

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