Die Träume der Libussa (German Edition)
noch mehr über diesen
Zögling von Vater Anselm herausgefunden.“ Radegund seufzte. Brunchilds Mutter
war eine Klatschbase mit guten Beziehungen.
„Dein Tänzer,
er ist eine Geisel“, unterbrach Brunchild aufgeregt diese Gedanken. Radegund
war verblüfft. Sie begriff nicht, was das bedeuten sollte.
„Eine Geisel
von Vater Anselm?“, kicherte sie spöttisch.
„Natürlich
nicht. Der König nahm ihn einst als Geisel bei einem wilden, heidnischen Volk.
Von dort kommt er.“
Radegunds
Verstand arbeitete schnell. „Dann muss er das Kind eines Fürsten sein. Bei den Sachsen
nahm man nur junge Edelinge als Geiseln.“
„Vermutlich ist
er das", seufzte Brunchild. „Aber Radegund, bedenke, dass er vielleicht
eines Tages dorthin zurückkehren wird. Zu den Wilden.“
Radegund zuckte
mit den Schultern. „Na wenn schon. Dann wird seine Gemahlin eben eine wilde
Fürstin sein", erwiderte sie lachend.
Brunchilds
Miene verfinsterte sich. „Gehst du denn davon aus, diese Gemahlin zu werden?“,
fragte sie.
Radegund
lächelte. Der Neid in Brunchilds Stimme schien ihr süß wie Honig. „Das weiß ich
noch nicht. Aber er will sich wieder mit mir treffen. Mir schien, dass ich ihm
gefallen habe.“
Brunchild hatte
bei dem Tanz keinem Mann gefallen. Sie wussten es beide, daher war es nicht
nötig, diesen Umstand anzusprechen.
„Eine gute
Christin hat die Aufgabe, ihren Gemahl und sein Volk zum wahren Glauben zu
bekehren, wenn sie sich mit einem Heiden vermählt. Vergiss das nicht“, kam es
nun in einem todernsten, belehrenden Ton. Radegund fühlte Ärger in sich
aufsteigen. Sie hatte eine solche Entwicklung der Dinge bisher nicht Erwägung
gezogen, aber es war anmaßend von Brunchild, im Tonfall einer Äbtissin mit ihr
zu sprechen.
„Ich habe nur
mit ihm getanzt. Verlobt bin ich nicht“, erwiderte sie gleichmütig.
Vermutlich
würde sie es niemals sein. Mit viel Glück könnte sie eines Tages eine
wohlhabende Hure wie Brunchilds Mutter werden. Aber ein Leben in der Gasse
neben dem Römerturm schien ihr wahrscheinlicher. Das Schicksal hatte es noch
niemals gut mit ihr gemeint.
Sie verbrachte einige Zeit mit
Brunchild auf dem Markt, hielt den Kopf hoch und grüßte mit lauter,
selbstbewusster Stimme. Niemand wich ihr aus, aber sie meinte, Geflüster hinter
ihrem Rücken zu hören. Vielleicht lag es nur an Brunchilds Gegenwart, dass man
sie nicht mit offener Respektlosigkeit behandelte. Sie hatte nicht die Muße,
darüber nachzudenken, denn je höher die Sonne am Himmel stand, desto stärker
flatterte es in Radegunds Magen. Immer wieder huschte ihr Blick zur Sonnenuhr
am Dom. Wenn der Schatten des Zeigers auf die Terz fiel, sollte Lidomir am
Römerturm auf sie warten. Während Brunchild im Auftrag ihrer Mutter die
wunderschöne blaue Seide kaufte, dachte Radegund darüber nach, ob es wirklich
zu einem Wiedersehen zwischen Lidomir und ihr kommen würde. Vermutlich hatte er
ebenfalls Gerüchte zu hören bekommen. Gestern, da war sie eine Fremde gewesen,
die ihm gefiel, doch jetzt sah er sie sicher ebenso wie es alle anderen Leute
in Regensburg taten. Eine Tochter aus verarmter Familie, die sich mit einem
fahrenden Händler eingelassen hatte! Warum also sollte er kommen? Sie konnte
sich der Kränkung aussetzen, vergeblich auf ihn zu warten, oder einfach selbst
nicht hingehen. Dann wäre es ihre Entscheidung gewesen, einen Mann, der von
barbarischen Götzenanbetern abstammte, zu verschmähen.
Doch kaum hatte sie beschlossen,
nicht zum vereinbarten Treffpunkt zu gehen, merkte sie, wie sich die Welt um
sie herum verdüsterte. Der Unrat zu ihren Füßen stank bestialisch. Das von
Narben entstellte Gesicht eines verkrüppelten Bettlers widerte sie derart an, dass
sie Lust hatte, den Mann anzuschreien, er möge augenblicklich verschwinden.
Obwohl sie nichts sagte, wich er vor ihrem Blick zurück. Und Brunchild,
diese hässliche dumme Gans, was wollte sie schon mit der Seide? Kein Mann würde
Lust haben, ihren plumpen Körper zu berühren, nur weil ein kostbarer Stoff ihn
verhüllte. Ich hasse Gott und seine Heiligen, die sich seinetwegen wie blöde
Lämmer schlachten ließen, und diese hässliche, stinkende Welt, die er
geschaffen hat!, fluchte sie innerlich. Ihr wurde übel und sie entfernte sich
von Brunchild, um auf der Brücke frische Luft zu schnappen. Sanft plätscherten
kleine Wellen unter ihren Augen dahin und beruhigten sie durch ihre leise
Melodie. Vor ihrem inneren Auge tauchte das Gesicht einer jungen Frau
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