Die Träume der Libussa (German Edition)
derart verunsicherte, doch es überraschte
sie, dass er ihr Urteil zu fürchten schien. Seit sie das Kloster verlassen
hatte, war ihr ganzes Bestreben darauf ausgerichtet, geheiratet zu werden, um
nicht bis an ihr Lebensende hinter den steinernen Mauern lebendig begraben zu
sein. Dass ein Mann Angst haben könnte, ihr zu missfallen, wäre ihr niemals in
den Sinn gekommen, denn schließlich hatte er doch die Macht, ihr Schicksal zu
bestimmen.
„Wollen wir
noch eine Runde tanzen?“, fragte Radegund, um das verkrampfte Schweigen zu
unterbrechen. Lidomir nickte erleichtert. Erneut wirbelten sie gemeinsam herum,
und Radegund kümmerte es nicht mehr, wer ihnen dabei zusah.
„Können wir uns
morgen wieder sehen?“, fragte Lidomir, als die Musiker bei Einbruch der
Dämmerung ihre Instrumente zusammenpackten. Radegund nickte und verabredete ein
Treffen am Römerturm für den nächsten Nachmittag. Beim Nachhausegehen fühlte
sie sich wie ein junger Vogel, der erstmals durch die Lüfte flattern konnte und
staunte, wie schön die Welt war. Leise summte sie vor sich hin, als sie sich
schlafen legte.
„Du hast gestern kräftig
das Tanzbein geschwungen, hat man mir erzählt.“
Gudrun war
bereits wach und hatte den Tisch gedeckt. Ihre Bereitwilligkeit, alle Aufgaben
im Haushalt selbst zu erledigen, hatte Clothards Leben wesentlich erleichtert,
denn nach seiner Enteignung konnte er nicht mehr viele Dienstboten
beschäftigen. Nur das kleine Haus in Regensburg war ihm noch geblieben und ein
paar Ländereien, die einen bescheidenen Lebensunterhalt sicherten. All dies
sollte sein Sohn erben.
„Ich habe mich
ein wenig unterhalten. Ist das vielleicht verboten?“
Die Bissigkeit
in Radegunds Tonfall schien Gudrun zu überraschen. „Nein, wer sagt das denn?
Eigentlich finde ich es gut, dass aus dir nicht so eine fromme Betschwester
geworden ist wie aus Anahild." Gudrun stellte einen Becher Milch vor sie
hin.
„Es ist nicht
schlimm, wenn du ein bisschen Spaß hast, aber du solltest auf deinen Ruf
achten. Es ist nicht gut, wenn über eine junge, unverheiratete Frau zu viel
geredet wird. Dein Vater hat schon genug gelitten.“
„Gelitten habe
ich auch!“, erwiderte Radegund trotzig. Wut stieg in ihr auf, ein vertrauter
Gegner. Doch die Jahre im Kloster hatten sie gelehrt, ihre Gefühle zu
beherrschen, auch wenn sie an ihnen zu ersticken glaubte.
„Soll das
heißen, es gibt Gerüchte über meine Tochter?“
Die Stimme
ihres Vaters war laut geworden. Radegunds Herz setzte einen Schlag aus. Warum
konnte dieses dumme Weib nicht den Mund halten?
„Aber nein,
Clothard. Ich wollte ihr nur raten, vorsichtig zu sein.“
Gudruns
kräftige Hand strich ihrem Mann über den Kopf. Er beruhigte sich mit einem
verhaltenen Knurren. Radegund fühlte den Blick der Stiefmutter auf sich ruhen.
Nicht böswillig, aber ermahnend. Gudrun hasste sie nicht, wollte nur, dass sie
keinen Ärger machte, der ihr friedliches Zusammenleben mit dem geliebten Mann
stören könnte. Radegund verspürte den Wunsch, genau das zu tun und wollte schon
eine freche Bemerkung machen. Allein das Klopfen an der Tür brachte sie davon
ab. Es war Brunchild mit ihrer Amme.
"Tritt
ein, Mädchen. Willst du mit uns essen?“, zwitscherte Gudrun wie eine fette
Krähe, die versucht, eine Amsel nachzuahmen.
„Das ist sehr
nett, aber ich habe schon das Morgenmahl zu mir genommen. Jetzt möchte ich mir
etwas die Beine vertreten. Hast du Lust, mit auf den Marktplatz zu kommen,
Radegund? Meine Mutter hat mir etwas Geld gegeben. Heute sollen wieder neue
Händler eintreffen, und morgens macht man die besten Geschäfte, weil noch nicht
so viele Leute da sind.“
Radegund blieb
reglos sitzen. Sie wünschte sich Brunchild ans Ende der Welt, wo sie mit ihren
schlechten Augen in den tiefen Abgrund stürzen konnte, der sich dahinter
auftat. Sollte sie zusehen, wie Brunchild Einkäufe machte, während sie sich
selbst nichts leisten konnte?
„Na komm schon,
Radegund. Frische Luft wird dir gut tun. Du bist immer so blass und mager.
Vielleicht bekommst du so ein wenig Appetit.“ Gudrun schob sie zur Tür hinaus.
„Er sah gut aus, dein Tänzer
gestern. Weißt du etwas über ihn?“
„Ich kenne
seinen Namen und weiß, woher er kommt. Er ist in Begleitung eines Priesters
hier. Vater Anselm, der den Bischof besucht.“
Radegund war
froh, dass damit jeder Verdacht von Anrüchigkeit aus der Welt geräumt wurde.
Brunchild
nickte. „Das mag ja stimmen. Doch meine Mutter hat
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