Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Träume der Libussa (German Edition)

Die Träume der Libussa (German Edition)

Titel: Die Träume der Libussa (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tereza Vanek
Vom Netzwerk:
mehrere
Wochen hatte zubringen müssen, um Demut zu lernen. Allein. Das wäre sie jetzt
sicher auch bald wieder, denn welcher junge Mann wollte sich mit einem
beißwütigen Mädchen abgeben?
    Sein Lachen
erschreckte sie zunächst, denn ihr schien, er mache sich über sie lustig.
Wütend richtete sie ihre Augen auf den unverschämten Fremdling.
    „Ich bin mir
sicher, Radegund, diese Äbtissin wird sich von allen Mädchen an ihrem Kloster
am längsten an dich erinnern.“
    Das klang
anerkennend.
    „Aber
vermutlich“, fügte er nach einer Weile hinzu, „machte sie auch dir dann das
Leben zur Hölle.“
    Schon wieder
Mitgefühl. Radegund bemühte sich, gleichmütig zu klingen. „Ganz so schlimm war
es nicht. Sie schätzte meine Geschicklichkeit beim Anfertigen der Gewänder, die
dem Kloster Geld brachten. Bald darauf erlernten wir die Schriftkunst. Wir
lasen die Bibel und Heiligengeschichten. Darin war Anahild sehr gut. Sie
begriff lateinische Grammatik viel schneller als irgendein anderes Mädchen im
Kloster und hatte große Freude daran. Doch auch das missfiel der Äbtissin. Sie
meinte, meine Schwester wollte sich damit wichtig machen und zwang sie, neben
ihren Studien Böden zu wischen. Das nahm Anahild hin. Aber sie begann, heimlich
selbst zu schreiben. Nicht nur Texte zu kopieren, denn das durfte sie wegen
ihrer schönen Handschrift. Sie verfasste auch ihre eigenen Gebete, die sie uns
abends im Schlafsaal vortrug. Sie klangen wunderschön. Leider kam die Äbtissin
irgendwann dahinter und drosch auf Anahild ein, denn angeblich will der Bischof
nicht, dass Frauen so etwas tun. Es ist nur Männern erlaubt.“
    „Davon habe ich
gehört. Aber es war nicht immer so, Radegund. Es gab viele christliche Frauen,
die ihre eigenen Texte schrieben. Manche davon sind sehr gut. Bei diesen werden
jetzt die Namen der Verfasser geändert, damit sie männlich klingen.“
    Lidomir hörte
nicht auf sie zu überraschen. Sie redete weiter.
    „Das erzählte
Anahild auch, ich meine, dass es Texte von Frauen gibt. Sie fand eine
Heiligengeschichte in der Bibliothek des Klosters. Das Leben der heiligen
Radegund. Nach der bin ich benannt. Es gibt eine Vita, die von einem Mann
verfasst wurde, doch meine Schwester fand noch eine andere. Eine Nonne, die im
Kloster dieser Heiligen war, hatte sie nach deren Tod geschrieben. Anahild
merkte sich den Text und erzählte mir nachts im Schlafsaal davon.“
    „Mir scheint,
deine Schwester wollte dich mit dem Leben im Kloster versöhnen", warf
Lidomir lächelnd ein.
    Radegund
nickte. „Ja, so war es wohl. Doch der Text gefiel mir. Ich ... ich meine, ich
hielt nie viel von dieser Radegund. Sie ging ins Kloster, weil sie nicht die
fünfte Gemahlin eines Grafen sein wollte. Ich dachte mir immer, dass ... na ja,
ich will eben keine Nonne sein, und warum nicht als fünfte Gemahlin eines
Mannes leben, sondern sich lebendig begraben, fand ich. Aber in dieser
Geschichte von der Nonne, da konnte ich die Heilige besser verstehen. Sie klang
wie eine Frau, die mit dem Leben kämpfen musste, um es nach ihren Wünschen zu
gestalten.“
    Lidomir blieb
stehen und wies auf einen großen Stein am Ufer. „Wollen wir uns setzen?“
    Sie nickte.
Diese Dinge hatte sie noch keinem Menschen je erzählt. Vermutlich lag es daran,
dass Lidomir ein Fremder war, der bald wieder aus ihrem Leben verschwinden
würde.
    „Wo ist deine
Schwester jetzt?“
    „Anahild? Sie
ist noch im Kloster. Als wir erwachsen waren, da musste man mich gehen lassen,
denn ich wollte keine Nonne werden. Aber Anahild blieb freiwillig. Sie glaubt,
eines Tages wird es dort wieder so sein wie zu Zeiten der heiligen Radegund.
Eine Gemeinschaft von Frauen, die mit Freude der Botschaft Christi folgt. Ein
frommes Leben führt, doch ohne ungerechte Schläge und Vorschriften des
Bischofs.“  
    Lidomir
richtete seinen Blick auf den Fluss. „Sie klingt sehr mutig, deine Schwester.“
    So konnte man
es auch sehen. „Mir scheint, sie hängt einem Traum nach. Die Zeiten haben sich
geändert. Der König hat alles in seiner Gewalt und will, dass Regeln
eingehalten werden", widersprach Radegund. Begann man einmal, die eigenen
Gedanken mitzuteilen, war es schwer, damit aufzuhören. Vermutlich konnte es
deshalb die lammfromme Anahild auch nicht lassen, heimlich ihre Gebete
niederzuschreiben.
    Lidomir riss
ein Büschel Grashalme aus der Erde und zerrieb sie langsam zwischen seinen Fingern.
„Manchmal braucht der Mensch Träume, um zu überleben", sagte er.

Weitere Kostenlose Bücher