Die Träume der Libussa (German Edition)
auf. Es
war schmal und blass wie das ihre, erstrahlte aber in einem verzückten Lächeln.
„Anahild,
kleine Schwester, du liebst mich, obwohl du weißt, wie bösartig ich sein kann.
Bete für mich, denn auf dich wird die heilige Jungfrau hören. Lass nicht alles
in meinem Leben armselig und hässlich sein“, flüsterte sie leise.
Die Bitterkeit
ließ langsam nach. Radegund genoss diesen seltenen Augenblick inneren Friedens
und musterte weiter das rasch dahinströmende Wasser unter ihr.
Lidomir mochte
Städte, die an einem Fluss lagen. Lidomir mit den ernsten Augen, die
aufleuchteten, als sie seine Aufforderung zum Tanz annahm. Sie wusste, dass die
Erinnerung an ihn sie verfolgen würde, wenn sie nicht zu dem Treffen ging.
Vielleicht lohnte es sich manchmal, um das eigene Glück zu kämpfen.
Lidomir wartete bereits, als
Radegund den Turm erreichte. Sie nahm mit Staunen das freudige Strahlen seiner
Augen zur Kenntnis. Hatte er tatsächlich daran gezweifelt, dass sie kommen
würde?
„Was wollen wir
tun?", fragte er.
"Ich kann
Euch den neu gebauten Sankt-Peters-Dom zeigen“, bot Radegund sich an. Zum
ersten Mal im Leben war sie froh, dass dieses Gebäude in Regensburg stand, denn
nun, da der Herzschlag ihr vor Aufregung in den Ohren hämmerte, fühlte sie sich
nicht in der Lage, eine Unterhaltung zu führen, bei der sie nicht wie eine
Idiotin redete.
„Ich habe ihn
schon gesehen", zerstörte er ihre Hoffnungen. „Wir waren zur Messe dort.
Aber ich würde gern ein Stück am Fluss entlanggehen. Ich liebe das Wasser und
die Stille.“
Das also war
es! Er wollte an einen Ort gehen, wo sie unbeobachtet waren. Er musste die
Gerüchte über sie bereits gehört haben und suchte eine Gelegenheit, sich mit
einem Mädchen zu vergnügen, das als willig galt. Sie beschloss, dem heidnischen
Hurensohn die Augen auszukratzen, falls er sie anfassen sollte. Noch einmal
würde keiner eine Katze im Sack aus ihr machen.
Aber als er
losging, folgten ihm ihre Beine, als hätten sie plötzlich einen eigenen Willen.
„Ich habe
gehört, dass dein Vater vom König enteignet wurde. Das muss hart für euch
gewesen sein", begann er unerwartet. Radegund zog trotzig die Schultern
zurück, denn sie verabscheute Mitgefühl.
„Es war eben
so. Ich wurde ins Kloster geschickt. Aber das wäre mir andernfalls vielleicht
auch geschehen. Einige der Mädchen dort stammten aus wohlhabenden Familien.“
Lidomir nickte.
„Gefiel es dir im Kloster?“
Das
Kopfschütteln kam sofort. „Ich habe diesen Ort gehasst", zischte sie, und
erst dann fiel ihr ein, dass diese Aussage ein schlechtes Licht auf sie werfen
konnte.
„Warum?“ Seine
Augen ruhten auf ihrem Gesicht, ernst und nachdenklich, wie gestern, als er sie
zum Tanz aufforderte.
„Nun“, begann
Radegund verlegen. „Ich mag Schmuck und schöne Kleider. Auf all das musste ich
natürlich verzichten. Die Äbtissin schien mir bösartig zu sein. Seltsamerweise
fasste sie eine große Abneigung gegen meine Schwester Anahild, obwohl diese
gern ins Kloster gegangen war. Zunächst lernten wir Frauenarbeiten wie Weben,
Sticken und Nähen. Wir fertigten Gewänder für den Bischof an. Mir lag das, denn
ich bin geschickt in diesen Dingen, doch Anahild hat zwei linke Hände. Ihre
Stiche waren nie fein genug. Ich versuchte, die Arbeit für sie zu erledigen,
aber das ging nicht immer, denn oft sah man uns dabei zu. Einmal schlug die
Äbtissin Anahild mit dem Rohrstock, weil sie angeblich ein feines Tuch
verdorben hatte. Meine Schwester ertrug das ohne Murren. Sie fühlt sich immer
schuldig an ihrem Versagen, doch mich machte das ganz furchtbar zornig und …“
Sie verstummte
erschrocken. Wie dumm sie sich wieder einmal verhielt! Es machte keinen guten
Eindruck, einem Mann von der eigenen Eitelkeit zu erzählen. Und dann auch noch
diese andere Geschichte, die sie wie eine Furie aussehen ließ.
„Was geschah
dann? Bist du für deine Schwester eingetreten? Das wäre sehr mutig gewesen.“
Verwirrt
musterte sie den einstigen Heiden. Dann sprudelten die Worte aus ihr heraus.
„Ich habe geschrien. Ich habe die Äbtissin eine dumme Gans genannt, weil sie
einfach nicht merkte, dass Anahild ihr Bestes gab. Dann packte sie mich, um
mich ebenfalls mit den Rohrstock zu verdreschen, und da … da … habe ich sie in
die Hand gebissen.“
Kaum war der
Satz zu Ende, sehnte sie sich nach einem Abgrund, in dem sie versinken konnte.
Oder nach jener feuchten, kalten Zelle, in der sie nach dem Vorfall
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