Die Träume der Libussa (German Edition)
gewürzten Weines getrunken, der ihren Zorn
aber noch mehr in Wallung brachte. Lidomir schwieg eine Weile.
„Es wäre nicht
gut gewesen, wenn ich mich eingemischt hätte", sagte er dann. „Meine
Mutter kam dir zu Hilfe, und das war die beste Lösung. Ich bin für meine Leute
fast wie ein Fremder. Sie müssen wieder Vertrauen zu mir fassen und dich
langsam annehmen. Meine Mutter ist auf unserer Seite. Das ist ein großes
Glück.“
Radegund fühlte
sich, als hätte man ihr die Haut abgezogen. Jeder Windhauch schmerzte.
„Deine Mutter!
Bin ich neben ihr unwichtig? Du hättest den Mund aufmachen sollen, um mich zu
verteidigen!“
Lidomir
seufzte. „Was hätte ich denn sagen sollen, Radegund? Es ging doch gar nicht um
dich, sondern um den Hass vieler Christen auf die Juden. Den konnte ich auch
nie wirklich verstehen. Warum Menschen für etwas verantwortlich machen, das sie
selbst nicht einmal getan haben? Davon abgesehen fällten die Römer das
Todesurteil über Jesus. Die Juden klagten ihn nur an. Warum hasst ihr nicht die
Römer?“
„Die Römer sind
doch schon lange Christen", meinte Radegund ungeduldig. Dann kam ihr eben
jene Erkenntnis, nach der sie während des Abendessens verzweifelt gesucht
hatte.
„Aber die
Juden“, rief sie, „die halten an ihrem überholten Glauben fest. Sie erkennen
den Erlöser nicht an. Deshalb werden sie verfolgt!“
Ihre Stimme war
laut gewesen. Lidomir blickte sie entsetzt an.
„So wie meine
Leute. Die halten auch an ihrem alten Glauben fest.“
Zermürbt
richtete sie sich auf. „Ich habe Durst, Lidomir. Der Wein hat meine Kehle
ausgetrocknet. Als Sohn der Fürstin kannst du vielleicht dafür sorgen, dass ich
etwas zu trinken bekomme.“
Mit großer
Erleichterung sah sie, wie er aufstand und zur Tür eilte. Durch eine einzige
unbedachte Bemerkung würde sie seine Liebe nicht verlieren. Die Dienstmagd war
so schnell zur Stelle, dass Radegund sich fragte, aus welchem Grund sie wohl
neben der Tür gestanden hatte. Bald darauf kam sie mit einem Becher wieder.
Radegund sah, wie sie ihr Gesicht darüber beugte.
„Sie hat
hineingespuckt, dieses unverschämte Weib!“, kreischte sie auf. „Lidomir, tu
etwas! Diese Magd hat mich beleidigt.“
Sie schleuderte
den Inhalt des Bechers auf die Dienerin, doch deren Bauerngesicht zeigte
keinerlei Gefühlsregung. Radegund hatte Lust, sie zu ohrfeigen, aber sie hielt
sich zurück. Lidomir sollte ihr zu Hilfe kommen.
Er stand wie
versteinert da und hatte das Gesicht verlegen abgewandt.
„Verstehst du
unsere Sprache?“, fragte er die Magd schließlich auf Fränkisch. Nur ein Zucken
der Wimpern verriet, dass er die Wahrheit erkannt hatte.
„Sie hat kein
Recht, mich so zu behandeln. Ich bin deine Gemahlin. Willst du dulden, dass ich
beleidigt werde?“, beharrte Radegund. Sie hatte das Gefühl, jetzt eine
entscheidende Schlacht gewinnen zu müssen. Lidomir trat von einem Fuß auf den
anderen.
„Ich werde mit
meiner Mutter reden", murmelte er schließlich und verließ den Raum.
Libussa schmiegte ihr Gesicht an
Premysls Brust und spürte das Kratzen seiner Haare auf ihrer Wange. Viele Jahre
lang war der Schatten des abwesenden Sohnes zwischen ihnen gestanden. Oft
gelang es ihr, ihn nicht wahrzunehmen, doch immer wieder entlud sich ihre
Trauer in Vorwürfen.
Nach Lidomirs
Abreise hatte eine Seuche ihr Volk heimgesucht. Gemeinsam mit Kazi half sie bei
der Pflege von Erkrankten und segnete aufgebahrte Leichname, die auf den Rat
der Heilerin zusammen mit all ihrer Kleidung und benutztem Essgeschirr
verbrannt wurden. Als die Zahl der Fiebernden endlich abnahm, meinte Premysl,
durch ihren unermüdlichen Einsatz hätte sie endgültig die Liebe ihres Volkes
gewonnen. Trotzdem lastete die Trauer wie ein schwerer Stein auf ihr. Manchmal
fühlte sie sich grundlos erschöpft und litt an einem Stechen im Unterleib, das
sie sich durch ihren Kummer erklärte. Kazi hatte ihr einmal gesagt, auch der
Körper leide, wenn ein Mensch nicht glücklich sei.
Doch nun würde
sich alles ändern.
„Er ist jetzt
wieder bei uns, unser Junge", flüsterte sie. „Ich weiß, dass ich manchmal
ungerecht zu dir war. Du wolltest seine Geiselnahme ebenso wenig wie ich. Ich
möchte mich entschuldigen.“
Seine Umarmung
wurde enger.
„Du hattest
Recht, und niemand hörte auf dich. Selbst was die Awaren betrifft. Nun wird der
Frankenkönig sie tatsächlich angreifen. Aber er ist kein Narr. Also können sie
nicht mehr so stark sein wie einst. Vielleicht
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