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Die Träume der Libussa (German Edition)

Die Träume der Libussa (German Edition)

Titel: Die Träume der Libussa (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tereza Vanek
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geglaubt hatte, nun würde ein
zufriedenes Leben für sie beginnen. Erst als die Dämmerung hereinbrach, gingen
sie in die Festung zurück.
     
    Das Abendessen fand nun in einem
kleineren Raum statt, wo Lidomirs Familie sich bereits versammelt hatte.
Radegund wurde von allen mit einem freundlichen Kopfnicken begrüßt und lächelte
höflich zurück, bevor sie sich neben Lidomir setzte. 
    „Ich hatte
bisher noch nicht das Vergnügen, mich mit einer Christin unterhalten zu
können“, begann ihr bäuerlicher Schwiegervater, als die Diener die Schüsseln
hineintrugen. „Es gibt einige Fragen, die ich an dich hätte.“
    Radegund
rutschte auf ihrem Stuhl herum. Sie bemerkte Libussas besorgten Blick.
    „Kürzlich kamen
Leute zu uns, die ein neues Zuhause suchten, denn aus ihrer Heimat hatte man
sie verjagt. Sie beten auch nur einen männlichen Gott an. Angeblich sogar
denselben, den auch die Christen verehren. Warum also behandelte man sie in
christlichen Gebieten so feindselig?“
    „Ich verstehe
nicht recht", murmelte Radegund verwirrt. Lidomir übersetzte hilfsbereit,
was ihr dümmlich schien. Den Sinn der Worte hatte sie durchaus begriffen, doch
nicht den Zweck der Frage.
    „Es waren
Juden", erklärte Libussa nun. „Gute Händler und geschickte Handwerker. Sie
sind eine Bereicherung für unsere Siedlung.“
    „Doch dort, wo
sie herkamen, hat man sie verjagt", warf Premysl hartnäckig ein.
    Radegund holte
Luft. Sie wünschte sich, einfach aufstehen und gehen zu können. Mühsam bastelte
sie einen Satz in der fremden Sprache zusammen.
    „Die Juden
töteten unseren Gottessohn.“ In diesem Augenblick empfand sie Zorn gegen alle
Juden dieser Welt, doch nur, weil sie ihretwegen in eine solche Lage geraten
war.
    „Das kann nun
ich nicht verstehen", mischte sich auf einmal die verschlossene Kazi ins
Gespräch ein. „Sollte euer Gottessohn denn nicht zum Wohl seines Volkes
sterben? Warum jene strafen, die ihn opferten, wenn er dieses Opfer freiwillig
brachte? Früher einmal, da töteten unsere Priesterinnen und Schamanen Menschen
zu Ehren der Götter. Das war ihre Pflicht. Warum jemanden hassen, der seine
Pflicht getan hat?“
    „Aber das war
nicht die Pflicht der Juden!“, rief Radegund aus. „Es ... es ... war sein Wille
zu sterben, doch das entschuldigt nicht jene, die ihn töteten.“
    „Also das macht
jetzt wirklich keinen Sinn", kam es wieder von Premysl. „Wenn er sterben
sollte, dann musste ihn doch auch jemand töten. Euer Gott opferte seinen Sohn,
und jetzt lasst ihr eure Wut darüber an jenen aus, die seine Wünsche
ausführten. Dabei soll die Opferung des Gottessohnes in eurer Religion doch
sehr wichtig sein.“
    In Radegunds
Kopf drehte sich alles.
    „Ich bin keine
Schriftgelehrte, um mich über diese Dinge streiten zu können", meinte sie
verunsichert.
    „Das scheint
mir eine sehr seltsame Religion, die nur Schriftgelehrte verstehen können. Wie
wollt ihr euch sicher sein, dass sie euch nicht einfach erzählen, was ihnen
gerade in den Kram passt?“
    Radegund
bemerkte das Blitzen in Premysls Augen, während Lidomir ihr zögernd seine Worte
übersetzte. Sein Vater genoss diese Unterhaltung, bei der er sie in die Enge
getrieben hatte. In aller Ruhe schnitten die schwieligen Bauernhände sich eine
Scheibe Brot ab.
    „Jetzt lass das
arme Mädchen doch in Frieden, Premysl. Sie ist neu hier und muss sich erst an
uns alle gewöhnen.“
    Wieder diese
mitleidige Güte der Fürstin! Radegund hatte das vertraute Gefühl, Empfängerin
von Almosen zu sein. Etwas Schreckliches geschah. Tränen stiegen ihr in die
Kehle, und sie war innerlich wie versteinert vor Anstrengung, sie
zurückzuhalten. Sie verstand nicht, warum sie sich zum Heulen fühlte. Sie
hasste sich dafür.
    „Wollen wir
nicht einen Sänger holen?“, kam es plötzlich von Scharka. „Ich glaube, wir
könnten alle etwas Aufheiterung gebrauchen.“
    Radegund sah,
wie Lidomir seiner Schwester einen dankbaren Blick zuwarf. Bald darauf erschien
ein junger Mann, der begleitet von zwei Flötenspielern traurige, gefällige
Lieder vortrug. Die weichen Melodien waren Balsam für Radegunds aufgewühlte
Seele. Dennoch empfand sie tiefe Erleichterung, als der Abend zur Neige ging
und sie mit Lidomir in ihrer Kammer verschwinden konnte.
     
    „Warum hast du mir nicht
geholfen, als dieser ... ich meine, als dein Vater den christlichen Glauben
angriff?“, zischte sie, sobald die Tür hinter ihnen zugefallen war. Zur
Beruhigung hatte sie einige Becher

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