Die Träume der Libussa (German Edition)
Premysl.
„Deine
Schnitzereien sind sehr gelungen. Auch mir macht es Freude, mit meinen Händen
Dinge zu schaffen“, meinte sie und staunte selbst über ihre Offenheit.
Plötzlich sah sie keinen Feind mehr in diesem Mann, obwohl er sie bei dem
Abendessen neulich derart angegriffen hatte. Sie hatten beide etwas gemeinsam,
wollten ein klein wenig Schönheit in diese trostlose, hässliche Welt bringen.
Sein Gesicht,
das ihr deutlich aufzeigte, wie Lidomir einmal als älterer Mann aussehen würde,
wandte sich ihr zu. Sie erkannte Staunen darin.
„Was für Dinge
schaffst du mit deinen Händen, edle Fränkin?“, fragte er.
„Gewänder“,
erwiderte sie stolz. „Ich webe, nähe und sticke für mein Leben gern.
Lidomirs Vater
zuckte unbeeindruckt mit den Schultern.
„Damit
beschäftigen sich Frauen aus wohlhabenden Familien immer gern. Das scheint auf
der ganzen Welt so zu sein.“
Seine Stimme klang spöttisch,
aber nicht wirklich boshaft, doch Radegund missfiel diese Bemerkung. Ihr war,
als würde dieser Bauer herabsetzen, was bisher ihr größter Stolz gewesen war.
Zwar merkte sie, wie Lidomir zum Reden ansetzte, kam ihm aber zuvor:
„Gewöhnlich heiraten Frauen aus wohlhabenden Familien auch Männer, die
weibliche Schönheit zu würdigen wissen und stolz sind, wenn ihre Gemahlin sich
ihrem Rang entsprechend kleiden kann.“
Diesmal ging es
nicht um Fragen der Religion. Sie konnte sich sehr wohl wehren, auch wenn es
ihr unklug schien, ganz offen auf die niedere Abkunft dieses Premysl
hinzuweisen. Er hatte es trotzdem begriffen. In seinen Augen lag kein Zorn, nur
kalte Abneigung, die sie plötzlich schmerzte. Lidomir sah sie erschrocken an
und ihr wurde unwohl.
„Seht, da kommt
Scharka“ rief er, als wolle er von dem Streit so schnell wie möglich ablenken.
Seine Schwester schlenderte tatsächlich herbei. Sie hatte ein paar kupferne
Armreifen erworben, die sie stolz herzeigte. Das Gesicht des Hunnen leuchtete
auf, was aber sicher nicht an der Schönheit des Schmucks lag. Sein Blick hing
stets an diesem niedlichen, albernen Mädchen, das die Unbeschwertheit
verwöhnter Kinder zur Schau stellte.
Radegunds Laune
verschlechterte sich zusehends. Keiner hier war bisher freundlich zu ihr
gewesen außer der Fürstin, doch die war zu jedem nett. Sie begegnete der Welt
mit einem liebenswürdigen Lächeln, als würde sie erwarten, dass dann jeder
ebenso zurücklächelte. Konnte man auf diese Weise ein Land regieren?
Fürstin Libussa konnte sehr wohl
ein Land regieren. Radegund fiel auf, dass der zarten Frau überall große
Ehrerbietung entgegengebracht wurde. Jeden Nachmittag wartete eine Schlange von
Menschen vor dem Tor der Festung, Leute aus dem Umland, die ihren Rat und ihr
Urteil in Streitfällen suchten. Meist handelte es sich dabei um einfache
Bauern, doch gelegentlich kamen auch vornehmer gekleidete Herrschaften
hereingeritten. Libussa forderte Radegund gelegentlich auf, an diesen Sitzungen
teilzunehmen, damit sie die Sitten in ihrer neuen Heimat kennen lernte, doch
Radegund fand dieses endlose Gerede meist ermüdend. Erst zwei Wochen nach ihrer
Ankunft traf ein Gast ein, der sie neugierig machte.
Sie erkannte
das Rabengesicht des gutaussehenden Kroatenfürsten sofort. Er kam auf einem
schwarzen Hengst durchs Tor geritten, und seine Erscheinung stach unter allen
Anwesenden im Hof, wo Radegund gerade gelangweilt herumspazierte, durch ihre
majestätische Größe hervor.
„Ich wünsche
mit Fürstin Libussa zu sprechen", verkündete seine befehlsgewohnte Stimme.
Er schwang sich vom Pferd. Einen Moment lang wünschte sich Radegund, Lidomir
besäße ein ähnlich männliches Auftreten.
Dienstboten
führten den Kroatenfürsten herein. Radegund folgte dem Gast ohne Zögern in
jenen großen Saal, wo Ratsuchende empfangen wurden, und ließ sich im
Hintergrund auf einen Schemel nieder.
„Sei
willkommen, Slavonik von den Kroaten", begrüßte Libussa den Fürsten. Sie
saß auf einem hohen Stuhl inmitten des Raumes. Ihr Haar war wieder unter einem
roten, kunstvoll drapierten Tuch verborgen. Eine Kette mit silbernen
Schläfenringen zierte ihre Stirn und um ihren Hals hingen Glassteine sowie
Amulette. Sie erinnerte Radegund an eine prächtig geschmückte Götzenfigur.
„Ich überbringe
traurige Nachrichten, Libussa von den Tschechen", verkündete Slavonik.
„Auf unserem Heimritt nach Kourim stürzte meine Gefährtin Drahomira von den
Zlicany von ihrem Pferd. Ein Rudel von Wölfen war plötzlich vor
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