Die Träume der Libussa (German Edition)
zu murren. Halte durch, solange du kannst. Niemand weiß, was
die Zukunft bringt.“
Radegund trat hinaus in den
nächtlichen Hof. Lidomir schlief bereits, denn nach dem Urteil über Slavonik
hatte er sich sogleich zu seinen Kampfübungen begeben und musste wie wild mit
dem Schwert um sich geschlagen haben. Sie hatten beide kein Wort miteinander
gewechselt. Radegund wusste nicht, ob allein Slavoniks Benehmen der Grund für
seinen Zorn war oder ob er auch an ihrem Verhalten etwas auszusetzen hatte. Sie
fürchtete sich davor, ihn zu fragen. Zum ersten Mal seit ihrer Begegnung mit
Lidomir fühlte sie sich wieder völlig allein. Sie sehnte sich nach Anahild,
doch auch ihre sanftmütige Schwester könnte sich vermutlich keinen Reim darauf
machen, was in den Köpfen dieser Heiden vor sich ging.
Sie erschrak,
dass sie Lidomir in Gedanken als Heiden bezeichnet hatte. Aber schließlich
musste ein Mann die Ehre seiner Frau verteidigen. Sie hatte nichts Falsches
getan, nur weil sie Slavonik nicht selbst in seine Grenzen wies. Nur irgendwo
in ihrem Inneren, da spürte sie das Gefühl von Schuld wie einen Stachel, den
sie nicht zu entfernen vermochte.
Sie spazierte
weiter durch die nächtliche Stille. Die Wachen am Tor schenkten ihr keine
Beachtung und die Bewohner der Hütten schliefen wohl bereits. Sie empfand es
als befreiend, dass niemand sie beobachtete. Radegund ließ sich auf einem der
Hocker nieder, den ein Handwerker vor seiner Hütte hatte stehen lassen. Die
frische Nachtluft tat ihr gut. Allmählich überkam sie ein Gefühl des Friedens.
Sie wünschte sich, diese Nacht würde nie vergehen und sie wäre nicht gezwungen,
sich weiter ihrem schwierigen Leben zu stellen.
Plötzlich hörte
sie Schritte. Sie klangen energisch und hart wie die eines Mannes. Radegunds
Herz klopfte schneller. „Ein Überfall“, schoss es ihr durch den Kopf. „Slavonik
kommt, um mich zu holen.“ Die Erkenntnis, wie unwahrscheinlich diese Vermutung
war, löste leise Enttäuschung in ihr aus.
„Habe ich dich
erschreckt, Radegund? Das war nicht meine Absicht.“ Eine große Gestalt in
Beinkleidern stand vor ihr. Die tiefe, aber dennoch weiblich melodische Stimme
war Radegund vertraut.
„Ich bin im Hof
spazieren gegangen", sagte Vlasta. „Das mache ich nachts manchmal. Ich mag
die Stille. Aber dich habe ich hier noch nie getroffen.“ Das Mannweib sprach
freundlich.
„Ich konnte
nicht schlafen", murmelte Radegund und erschrak, wie gequält sie klang.
Vlasta hockte sich neben sie. Ihre Gegenwart war nicht einmal unangenehm, hier,
in der nächtlichen Abgeschiedenheit von der wirklichen Welt.
„Es ist sicher
nicht einfach“, begann das Mannweib, „von einem Volk in ein anderes zu ziehen.
Man hält mich für mutig, doch ich weiß nicht, ob ich das könnte. Es tut mir
leid, wenn ich vielleicht manchmal barsch zu dir gewesen bin, Radegund.“
Während sie
sprach, war ihr Blick auf den Boden gerichtet. Auch Radegund vermied es, Vlasta
anzusehen.
„Es ist nicht
dein Verhalten, unter dem ich leide, sondern mein eigenes", hörte sie sich
sagen. „Manchmal fällt es mir schwer, mich nicht selbst zu hassen. Ich habe
immer das Gefühl, das Leben sei gegen mich. Doch wahrscheinlich bin ich selbst
meine ärgste Feindin.“
Wie befreiend
es war, diese Ahnung, die sie sich selbst nur widerwillig eingestand, in Worte
zu fassen. Eine Weile fühlte sie sich leicht, fast zufrieden.
„Ich bin nicht
gut darin, andere zu beraten", meinte Vlasta leise. „Wenn etwas mich
quält, dann nehme ich das Schwert und kämpfe, bis ich mich nicht mehr rühren
kann. Diese Erschöpfung erlöst mich. Aber es gibt eine Frau hier in Praha, die
Leidenden zu helfen vermag.“
Radegund senkte
den Kopf. „Bitte schick mich nicht zu Fürstin Libussa. Ich weiß, sie hat ein
mitfühlendes Herz. Aber sie ... sie scheint mir so vollkommen, dass ich mich in
ihrer Gegenwart sofort schlecht fühle.“
Zu ihrem
Staunen hörte sie Vlasta lachen. „Meinst du vielleicht, du bist die Einzige,
der es so geht, Radegund? Libussas Güte kann anstrengend sein. Komm, ich bringe
dich zu einer Frau, die das selbst gut genug weiß. Wir müssen uns beeilen, denn
schon bald wird sie wieder abreisen.“
Eine innere
Stimme flüsterte Radegund zu, das Angebot abzulehnen. Doch ihr Körper erhob
sich trotzdem. In dieser Nacht würde sie gegen ihre Vernunft und Vorsicht
handeln.
In der Kammer brannte noch Licht.
Vlasta klopfte an die Tür und eine weibliche Stimme rief sie herein.
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