Die Träume der Libussa (German Edition)
seine Lippen.
„Du hast gegen
unsere Regeln verstoßen, Slavonik", begann Libussa mit ruhiger Stimme.
„Was wolltest du damit bezwecken?“
„Ich folgte
meinem Verstand", erklärte der Mann mit einem verächtlichen Blick.
„Und was gab
dein Verstand dir ein? Die Götter und die anderen Stämme gegen dich
aufzubringen?“ Libussa lächelte nachsichtig, als rede sie mit einem
dickköpfigen Kind.
Slavoniks Augen
blitzten auf. „Ich wollte herrschen, weil ich weiß, dass ich die Fähigkeit dazu
besitze. Warum soll ich mich den Wünschen eines jungen Mädchens fügen?“
„Fügen“,
erwiderte Lidomirs Mutter „musst du dich nicht. Du musst nur überzeugen können.
Bist du dazu trotz deines Verstandes nicht in der Lage?“
Es gab
Gelächter unter den Versammelten. Radegund staunte, wie wenig herrisches
Auftreten bewirken konnte, wenn sich niemand davon beeindruckt zeigte.
„Es ist ein
Unsinn, dass bei uns die Frauen herrschen. Die anderen Völker haben das bereits
abgeschafft. Das ist meine Meinung, Libussa von den Tschechen, und wenn es dir
nicht gefällt, dann strafe mich eben", rief der Kroatenfürst zornig.
„Aber warum
sollte ich dich für deine Gedanken bestrafen? Du willst herrschen. Das wollen
viele, Slavonik. Doch man muss als Herrscher auch Anerkennung finden. Von wem
bekommst du sie?", fragte Libussa nur.
„Von meinen
Kriegern", kam es wütend zurück.
„Aber wie du
gesehen hast, sind meine Krieger gegenüber deinen in der Überzahl. Willst du
dich von unserem Volk abwenden? Allein gegen den Rest der Welt kämpfen mit
deinem winzigen Fürstentum? Oder etwa ein Untergebener der Mähren oder Awaren
werden? Doch die Awaren werden bereits von den Franken bekriegt. Du solltest
dich taufen lassen, Slavonik. Die Christen glauben an männliche Überlegenheit.“
„Spotte nur
über mich, Libussa. Wegen des Verrats einer kleinen Schlampe gelang es deinen
ergebenen Hofhunden, mich zu überrumpeln. Fälle mein Todesurteil, wenn du es
für angebracht hältst. Doch meine Gedanken werden nicht mit mir sterben. Andere
Männer der Behaimen fangen bereits an zu begreifen, wie es um die Welt bestellt
ist. Warum sich von einem schwachen, ängstlichen Weib Vorschriften machen
lassen?“
„Du bist ein
mutiger Mann, Slavonik von den Kroaten", erwiderte Lidomirs Mutter ruhig.
„Du siehst dem Tod entschlossen ins Auge. Dies tut auch jede Frau, wenn sie ein
Kind gebiert, denn wären Frauen alle schwach und feige, so würden sie sich vor
so viel Schmerz und der damit verbundenen Lebensgefahr scheuen. Jedes Volk
würde bald aussterben. Hast du die Achtung vor deiner eigenen Mutter verloren,
da du ihr Geschlecht beleidigst?“
Radegund sah,
dass alle Blicke sich nun spöttisch auf den Kroatenfürsten richteten, denn die
übrigen Anwesenden waren von Libussas Denkweise offenbar weniger überrascht als
sie selbst. Slavonik schwieg. Er schien überrumpelt.
„Ich habe nicht
die Absicht, dein Todesurteil zu fällen", fuhr Lidomirs Mutter fort.
„Jeder Mensch hat das Recht auf seine eigenen Gedanken und darf Fehler machen.
Doch als männlicher Ratgeber Janas von den Zlicany hast du versagt. Du wirst
dich in Zukunft von ihrer Festung Kourim fernhalten. Ich werde ihr einige meiner
Krieger zur Verfügung stellen, damit die Ordnung gewahrt bleibt. Jene Männer
der Zlicany, die lieber dir folgen wollen, dürfen das tun. Du bleibst an der
Seite deiner Schwester im Fürstentum der Kroaten, denn Sylva hat sich nicht
über dich beschwert. Doch sollte es Klagen deiner Leute geben, muss ich wieder
einschreiten. Halte die Regeln ein, so wie Neklan von den Lemuzi es nach seinen
Fehltritten tat. Dann kannst du deinem Rang entsprechend leben.“
Allgemeine
Erleichterung machte sich breit. Radegund vermochte sie nicht zu teilen. Ein
heldenhafter Tod hätte ihrem Bild von diesem Mann eher entsprochen, denn
Libussas Milde machte auch ihn zum Empfänger von Almosen. An Slavoniks starrer
Gestalt meinte sie zu erkennen, dass er ebenso empfand. Einen Augenblick lang
wünschte sie sich, er würde noch einmal wild und stolz aufbegehren, um Libussa
zu einem harten Urteil herauszufordern. Doch er tat es nicht. Stattdessen ließ
er seine Adleraugen über die Versammelten wandern. Sie blieben an diesem
kleinen, plumpen Mädchen hängen, das ihn angeklagt hatte.
„Ich wollte dir
nur einen Gefallen tun, Jana, indem ich dir beim Herrschen half",
verkündete er laut. „Und außerdem hätte ich dir ein paar schöne Momente
geschenkt. Welcher
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