Die Träume der Libussa (German Edition)
Radegund
erkannte die kleine Gestalt Kazis im Schein der Fackeln. Es gab kaum Möbel in
dem Raum, dessen Bewohnerin offenbar auf Tierfellen schlief und keine Stühle
brauchte. Sie war von Kräuterbündeln und mit Salbentöpfen umgeben. Radegund
fühlte sich an Hiltrud, die Wahrsagerin aus Regensburg, erinnert, doch bei
genauerem Hinsehen erwies sich die Ähnlichkeit als gering. Hiltrud war vom
schrecklichen Los einer Elenden und Ausgestoßenen gezeichnet gewesen. Kazi
hingegen saß völlig entspannt in ihrer bescheiden eingerichteten Kammer, als
sei ihr Leben frei von Furcht oder unerfüllten Sehnsüchten. Ihr Gesicht war
nicht gütig wie das Libussas. Es strahlte eine uralte Weisheit aus, die
manchmal auch Härte zulassen konnte.
„Radegund sucht
deinen Rat", begann Vlasta.
Kazi nickte.
„Dann sei so gut und lass uns allein.“
Seltsamerweise
fühlte sich Radegund irgendwie verloren, als Vlasta den Raum verließ. Während
des kurzen Gesprächs war ihr die Kriegerin vertraut geworden. Kazi hingegen,
die heidnische Zauberin, wirkte fremd und bedrohlich.
„Möchtest du
einen Becher Wein trinken?“
Radegund nahm
erleichtert an. Das Getränk verbreitete wohlige Wärme in ihrem Körper. Ihre
Verspannung ließ nach.
„Nun, was führt
dich zu mir, Christenmädchen?“
Sie erschrak,
derart angeredet zu werden. Als Christin sollte sie gar nicht hier sitzen.
Anahild würde niemals …
„Lass mich
raten. Es ist der Kroatenfürst. Er hat Unruhe in deine fromme Seele gebracht,
habe ich Recht?“ Kazis Stimme klang weder spöttisch noch vorwurfsvoll. Trotzdem
musste Radegund den Wunsch unterdrücken, ihr den Wein ins Gesicht zu schütten.
„Ich bin
keineswegs so fromm, wie du denkst", zischte sie und staunte, warum sie
plötzlich das Gefühl hatte, sich gegen eine solche Bezeichnung wehren zu
müssen.
„Auch das
dachte ich mir. Anders als meine Schwester Libussa will ich nicht nur das Gute
in den Menschen sehen. Du hast zu viel Feuer und Hunger nach Leben in dir, um
die Bedürfnisse deines Körpers zu verleugnen.“
Radegund wurde
schwindelig. Sie hätte den Wein nicht so schnell trinken sollen.
„Ich liebe nur
meinen Gemahl Lidomir", erklärte sie laut. Kaum hatte sie diese Worte
ausgesprochen, erkannte sie die Wahrheit in ihnen und verspürte eine tiefe
Erleichterung. Kazi lächelte milde.
„Hier geht es
nicht um Liebe, Radegund. Nicht dein Herz verzehrt sich nach Slavonik, sondern
ein anderer Teil deines Körpers.“
Radegund schlug
die Hände vors Gesicht. Wie konnte diese fremde Frau ihre Verderbtheit so klar
erkennen?
„Daran ist
nichts Schlimmes, Mädchen. Jedenfalls nicht in meinem Glauben", meinte
Kazi sanft.
„Dein Glaube!
Ihr Heiden kennt keine Gesetze der Moral und des Anstands. Ihr folgt euren
Trieben, die ihr für heilig haltet.“
Die Worte waren
Radegund entschlüpft, bevor sie überlegt hatte. Sie erschrak. War es klug, vor
dieser heidnischen Zauberin wie die Äbtissin zu reden? Aber Kazi schien nicht
zornig.
„Wir kennen die
Gesetze der Natur und verehren sie, denn aus der Natur sind wir entstanden.
Unsere Götter zeigen sich in ihr, durch den Klang des Donners und die Tiefe der
Gewässer, durch das stete Sterben und neue Erblühen dieser Welt. Dein Körper
ist ein Teil dieses Ganzen. Warum solltest du dich für seine Sehnsüchte schämen
müssen? Nimm es hin, dass der Kroatenfürst dich reizt. Sobald du dich von
deinem Schuldgefühl gelöst hast, kannst du in Ruhe eine Entscheidung treffen.
Dein Wille ist nur frei, wenn du dich selbst so anerkennst, wie du bist.“
Radegund war
wie betäubt. Sie wollte den Sinn dieser Worte erfassen, doch es gelang ihr
nicht. „Gib mir ein Mittel, das mich von meinem Verlangen nach diesem Slavonik
befreit. Das kannst du doch, nicht wahr?“, flüsterte sie verzweifelt.
Kazi lachte
auf. „Da überschätzt du meine Fähigkeiten. Ich kann dir Tränke brauen, die jede
Lust in deinem Körper betäuben, aber wäre das wirklich gerecht gegenüber
Lidomir?“
Radegund fand
das allemal besser, als wenn sie sich vor allen Leuten anmerken ließ, dass ihr
ein anderer Mann gefiel. Aber würde Lidomir nicht bei einer anderen Frau
suchen, was sie ihm nur noch widerwillig gewährte?
„Was also ist
dein Rat an mich, weise Frau?“, fragte sie spöttisch. Kazi streckte ihre Hand
nach einem großen Hund aus, der in einer Ecke des Raumes schlief. Er erhob sich
wie von einer unhörbaren Stimme gerufen und eilte herbei. Radegund bemerkte mit
Widerwillen, dass
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