Die Träume der Libussa (German Edition)
andere Sorgen, sie
muss sich nicht mit diesem hochmütigen Unruhestifter abgeben", meinte ihr Gemahl.
„Das wäre keine
gute Idee", entgegnete sie. "Der Bischof persönlich hat ihn
geschickt, nicht Vater Anselm. Ihn wieder davonzujagen wäre eine Beleidigung,
die König Karl zu Ohren kommen könnte.“
Plötzlich waren
Lidomir und sie wieder zu einer Einheit geworden. Vielleicht nahm sie den
Vorfall mit Slavonik zu ernst. Sie würde einfach nicht mehr daran denken, und
alles wäre wie früher.
„Was soll ich
denn sonst tun, Radegund?“, fragte ihr Gemahl. Die Freude, dass er ihren Rat
suchte, vertrieb endgültig die Geister der Vergangenheit.
„Du hast dich
in dem Gespräch gut geschlagen. Diese Bedingung, die du Gundolf gestellt hast,
war hervorragend. Kein gläubiger Christ kann etwas dagegen sagen, und König
Karl hat im Augenblick andere Sorgen, als die Behaimen anzugreifen. Behalte
Gundolf hier. So kannst du sein Treiben beobachten. Wenn er Schwierigkeiten
macht, dann ... dann wird uns schon etwas einfallen.“
Lidomir umarmte
sie, und seine Nähe war wieder selbstverständlich geworden. Radegund erwiderte
bereitwillig seine Berührungen. In dieser Nacht befreite er ihren Körper von
der Erinnerung an Slavonik.
Den Mönchen wurde eine Hütte im
Hof der Festung zugewiesen, was Gundolf zwar mit finsterem Blick, aber
schweigend hinnahm. Er spazierte viel herum und beobachtete das Treiben der
Handwerker, Knechte und Mägde aufmerksam, doch zeigte er kein Bedürfnis,
Gespräche anzufangen. Radegund war darüber erleichtert. Dieser strenggläubige,
von sich überzeugte Mann würde Lidomirs Volk mit Bekehrungsversuchen nur vor
den Kopf stoßen, denn ihm fehlte jede Bereitschaft, eine andere Denkweise zu
verstehen. Frederik bat Radegund schon nach ein paar Tagen, ihm Unterricht in
der Landessprache zu geben. Sie willigte ein. Durch den Unterricht mit Frederik
hatte sie endlich eine Aufgabe gefunden. Der Junge ahmte lernbegierig ihre
Worte nach und versuchte, den Klang in Buchstaben zu fassen, die er auf
Baumrinde ritzte. Sein kindlicher Eifer war ansteckend. Radegund ertappte sich
nach dem Unterricht bei Überlegungen, welche Regeln dieser fremden, harten
Sprache eigentlich zugrunde lagen. Sie versuchte, die lateinische Grammatik,
die sie im Kloster nur gelangweilt hatte, auf die Sprache dieser Wilden zu
übertragen. Doch ihre Kenntnisse des Lateinischen waren spärlich. Auf einmal
wünschte sie sich, über Anahilds Wissen zu verfügen. Vielleicht taten sich auch
für Frauen manchmal Wege auf, Bildung sinnvoll einzusetzen und dadurch
Anerkennung zu gewinnen.
Der Wunsch, die
Landessprache vollkommen zu beherrschen, trieb sie schließlich wieder zu
Scharka und ihren Gefährtinnen. Außerdem stellte Frederik ihr immer wieder
Fragen über die Lebensweise der Behaimen, die sie nicht beantworten konnte.
Hinter seinem missionarischen Eifer verbarg sich die Neugier eines Kindes, das
mit großen Augen eine fremde Welt betrachtet.
Sie zögerte, bevor sie die
Nähstube betrat, und atmete tief durch. Ein Haufen junger Mädchen würde ihr
keine Angst machen. Sie hatte lang genug im Kloster gelebt, um an die
hinterhältige Gemeinheit weiblicher Zungen gewöhnt zu sein und mit gleicher
Münze heimzahlen zu können.
Die Gespräche
verstummten, als sie eintrat. Alle Blicke hefteten sich auf sie, erstaunt,
vorwurfsvoll, einige sogar feindselig. Das Spinnen, Weben, Nähen und Sticken
hatte aufgehört, als wären alle Anwesenden plötzlich zu Stein erstarrt.
„Sieh an, die
Christin beehrt uns wieder mit ihrer Gegenwart", rief Svatava und ließ
Radegund ahnen, wie ein zorniger Hase wohl aussehen mochte. „Wahrscheinlich
haben die Kuttenträger sie geschickt, damit sie uns erklärt, wie schlecht wir
sind. Nur deshalb bringt sie ein solches Opfer. Aber in Wahrheit gefällt sie
sich darin. Angeblich genießen Christen die Gegenwart von Elenden und Aussätzigen",
fügte Hodka hinzu. Es war der erste Scherz, den Radegund von dieser heidnischen
Gelehrten hörte. Sie selbst fand ihn nicht sonderlich witzig, aber er löste
dennoch ein paar Lacher aus.
Scharka sprang
auf und kam Radegund entgegen. „Es freut mich, dich wieder bei uns zu
sehen", verkündete sie mit lauter Stimme. „Ich weiß, es ist nicht leicht
für dich, fremde Sitten zu verstehen. Du willst den Beistand von Vertretern
deines Glaubens. Wäre ich weit fort von meiner Heimat, würde es mir sicher
ähnlich gehen.“
Dann ergriff
sie Radegunds Hand und zog
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