Die Träume der Libussa (German Edition)
sie an den Webstuhl. „Vielleicht kannst du den Stoff
fertig stellen, während wir die Farbe vorbereiten. Ich möchte Mnata für das
Kupala-Fest eine Tunika nähen.“ Ihre Bitte war wie ein Befehl an alle anderen
Mädchen, und sie fuhren schweigend mit ihrer Arbeit fort.
Als Radegund
das Schiffchen durch die Fäden zog, wurde ihr klar, welch kostbares Geschenk
des Schicksals ihr mit Scharkas Freundschaft zuteil wurde. Auf einmal verspürte
sie eine tiefe Freude, die sie sich so lange wie möglich bewahren wollte.
„Wir werden
bald losziehen", kündigte Frederik nach einigen Wochen an. „Es gelang mir,
Gundolf zu überzeugen, dass wir zum einfachen Volk in den Dörfern sprechen
sollten.“
Radegund senkte
verwirrt den Blick. „Wäre es nicht sinnvoller, hier in der Festung
anzufangen?", fragte sie. "Die meisten wichtigen Leute leben in
Praha?“
Frederik
nickte. „Ich weiß, aber auch Jesus predigte zu den einfachen Menschen. Hier ist
der Einfluss der Fürstin Libussa sehr groß. Sie scheint eine Art religiöses
Oberhaupt zu sein. Wäre sie ungerecht und grausam, dann hätten wir es natürlich
einfacher. Aber ihre Untertanen wirken nicht unzufrieden.“
„Das sind sie
auch nicht", hörte Radegund sich antworten. „Aber warum glaubst du, in den
Dörfern wäre es anders?“
Frederiks
glatte Kinderstirn legte sich in Falten. „Es muss auch hier Menschen geben, die
für die Botschaft des Heils empfänglich sind. Gundolf meint, wir sollten nach
ihnen suchen.“
„Gundolf will
tatsächlich zu Bauern predigen?“, fragte Radegund ungläubig und verunsicherte
Frederik dadurch noch mehr.
„So genau hat
er es nicht gesagt. Er meinte nur, wir sollten uns umhören und zwar dort, wo
diese heidnische Hure ... also, er meinte die Fürstin Libussa … uns nicht
beobachten kann.“
Radegund wurde
plötzlich unwohl, als hätte sie von einer verdorbenen Speise gekostet. „Warum
nennt Gundolf Libussa eine Hure?“
„Weil sie ...
weil sie eben eine Heidin ist. Und weil sie hier herrscht und ihm Vorschriften
machen will, denke ich. Gundolf drückt sich manchmal sehr hart aus, obwohl er
ein Mann Gottes ist.“
Radegund
lächelte. Sie mochte dieses Kind, obwohl es ihr sonst nicht leicht fiel,
Menschen zu mögen. „Frederik“, begann sie vorsichtig, „ich weiß, du hast große
Achtung vor Gundolf. Aber er kennt die Sitten der Behaimen nicht. Sie sind an
Freiheit gewöhnt und mögen es nicht, angeherrscht zu werden. Vor allem nicht
von Fremden. Es wäre nicht gut, wenn Gundolf hier Unmut auslöst. Du musst
versuchen, ihn in Grenzen zu halten.“
Frederiks
Gesicht begann zu strahlen. Auch für ihn war es eine neue Erfahrung, wichtig zu
sein. „Ich werde mein Bestes tun, das verspreche ich. Gundolf ist manchmal
schwierig, aber ... ich werde meinen Einfluss geltend machen", versicherte
er.
Die Mönche
verließen Praha. Radegund sehnte sich nicht nach ihrer Rückkehr. Vielleicht
würden sie erkennen, dass die Missionierung der Behaimen ein aussichtsloses
Unterfangen war und endgültig abreisen. Radegund wünschte es sich und manchmal
gelang es ihr auch, daran zu glauben.
7
Beim Kupala-Fest wirkten die
Götterstatuen auf Radegund bereits weniger furchteinflößend. Die Götzen hatten
Namen bekommen und schlichen sich allmählich in ihren Alltag. Manchmal ertappte
sie sich dabei, im Namen Peruns oder beim Licht der Mokosch zu schwören. Ihr
Schuldgefühl darüber hielt sich in Grenzen. Unbekümmert nahm sie nun an den
Zeremonien teil und tanzte abends mit Lidomir um die Feuerstellen. Mnata trug
jene Tunika, deren Stickereien sie für Scharka entworfen hatte. Seine Blicke
waren weniger feindselig geworden, auch wenn er weiterhin kein Verlangen
zeigte, ein Gespräch mit ihr anzufangen. Radegund störte das nicht. Der Hunne
schien ihr ein geborenen Krieger, dessen Denken von klaren Regeln geprägt war.
Treue, Mut und Loyalität wiesen ihm den Weg durchs Leben wie die geraden
Straßen der Römer. Sie erwartete von ihm kein Verständnis für menschliche
Schwächen und fürchtete sich insgeheim vor seinem Urteil.
Sie traf wieder
mit Tschastawa und Vlasta zusammen, die meist unzertrennlich waren. Offenbar störte
Vlasta sich nicht ernsthaft daran, dass die dunkle Schönheit mehr Erfolg bei
den
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