Die Träume der Libussa (German Edition)
finden. Sie müsste nur beichten, dann würde sie sich
bald besser fühlen. Ihre Sehnsucht nach Erlösung durch die Beichte überraschte
sie selbst. Aber hatte nicht auch Lidomir gemeint, die Erziehung durch Vater
Anselm sei nicht spurlos an ihm vorübergegangen? Diese heidnischen Sitten waren
eine Falle gewesen, in die sie getappt war. Nun suchte sie wieder Halt bei den
vertrauten Lehren ihrer Kindheit.
Die ersten heißen Sommertage
brachten den Knecht in Begleitung zweier Mönche zurück. Sie ritten auf Eseln
durch das Tor der Festung und ihre braunen Kutten kamen Radegund plötzlich
unglaublich trist vor im Vergleich zu der farbenprächtigen Aufmachung von
Lidomirs Leuten. Sie musste sich wieder in Erinnerung rufen, wie viel Gefahr
hinter dem Reiz des Fremden lauerte.
Libussa
begrüßte die Ankömmlinge und erklärte, es stünde ihnen frei, hier von ihrem
Gott zu reden, doch jede Einmischung in gängige Rituale und Lebensgewohnheiten
seien unerwünscht. Lidomir übersetzte, während Radegund aufmerksam die
Gesichter der beiden Unbekannten musterte. Ein halbwüchsiger Jüngling stand an
der Seite eines Mannes mittleren Alters. Beide betrachteten staunend die hölzerne
Festung und die mit bestickten Tüchern bespannten Wände um sich herum. Nicht
weniger verblüffend war für sie wohl die zarte Frau auf dem hohen Stuhl, die
wie eine Herrscherin sprach. Der ältere Mönch runzelte die Stirn. Er hatte
buschige Brauen, unter denen kluge, willensstarke Augen hervorblickten. Daneben
wirkte der Jüngling farblos wie ein verwaschenes Leinentuch.
„Ich bin
Gundolf aus dem Kloster Sankt Emmeran", stellte sich der ältere Mönch vor.
„Und dies ist mein Begleiter Frederik. Wir haben uns beide in Fulda kennen
gelernt, wo man uns in der Kunst des Missionierens unterwiesen hat, einer
Aufgabe von nicht zu unterschätzender Bedeutung in diesen schwierigen Zeiten.
Richte diesem Weib aus, wir haben ihre Worte zur Kenntnis genommen.“
Lidomir sah unzufrieden
aus und übersetzte eine etwas freundlichere Version von Gundolfs Worten.
Daraufhin entließ Libussa die Neuankömmlinge mit einem Wink ihrer Hand. Sie
sollten nicht das Gefühl bekommen, wichtige Gäste zu sein.
Lidomir und
Radegund führten die beiden Männer in einen Nebenraum, um sich mit ihnen zu
unterhalten. Eine Magd brachte ihnen eine Stärkung nach der langen Reise. Wie
Radegund bemerkte, war es nicht Hedwig, die seit der Ankündigung, dass
Missionare nach Praha kämen, wieder sehr unfreundlich zu ihr geworden war.
„Habt ihr eine
Nachricht von Vater Anselm?“, fragte Lidomir sogleich. Seine Sehnsucht nach dem
Ziehvater musste größer sein, als er sich eingestehen wollte.
„Vater Anselm
weilt nicht mehr in Regensburg", lautete Gundolfs Antwort, die Lidomir
verblüffte.
„Aber er muss
unsere Nachricht doch gelesen haben?“
Gundolf
schüttelte den Kopf. „Als sie eintraf, war er bereits abgereist. Daher kümmerte
sich der neue Bischof Adalwin persönlich um die Angelegenheit. Sein Vorgänger
Sintpert, den Vater Anselm besuchte, ist bedauerlicherweise zu Beginn des
Awarenkrieges verstorben.“
Nun wirkte
Lidomir völlig vor den Kopf gestoßen. „Der Bischof hat eine Nachricht gelesen,
die nicht für ihn bestimmt war?“
Gundolf wischte
diesen Einwand ungeduldig beiseite. „Darum geht es jetzt doch nicht! Hätten wir
diesen armen Bauerntölpel denn bis nach Aachen schicken sollen, wo dein Vater
Anselm nun wieder bei seiner Gemeinde ist? Du hast dich völlig richtig
verhalten, Fürst der Behaimen. Bei der Durchsetzung des einzig seligmachenden
Glaubens hier unter den Wilden brauchst du natürlich Unterstützung. Und nun
lasst uns die Lage besprechen.“
Er nahm einen
Schluck Met aus seinem Krug. Frederik verschlang indessen gierig den
aufgetischten Schweinebraten. Der Junge wirkte ausgezehrt von der Reise.
„Wie mir
berichtet wurde“, fuhr der offenbar weniger hungrige, aber redselige Gundolf
fort. „ist der Herrscher über dieses Volk ein Mann namens Krok, ein
eingefleischter Heide, bei dem wohl nichts mehr auszurichten ist. Doch der Mann
ist alt. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis du als sein Nachfolger an die
Macht kommst, Lidomir. König Karl ist zurzeit damit beschäftigt, das Übel der
schrägäugigen Awaren auszurotten. Doch natürlich setzt man Hoffnungen in dich,
deine Untertanen auf den Weg des richtigen Glaubens zu führen.“
Radegund war
auf einmal nicht mehr wohl zumute. Sie meinte, Lidomirs Zorn geradezu
körperlich zu spüren.
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