Die Träume der Libussa (German Edition)
sie sich auf der Bettstatt
zusammen und zog sich das dünne Leinentuch über ihren Kopf.
Nach einer
schlaflosen Nacht beschloss sie, Lidomirs Familie vor Gundolf zu warnen. Ihrem
Gemahl von dem Gespräch mit dem Mönch zu erzählen, wagte sie nicht, doch sie
wollte sich seiner Schwester Scharka anzuvertrauen. Schon im ersten
Morgengrauen brach Radegund auf, denn sie fürchtete, ihr Mut könnte mit der
Zeit schwinden. Außerdem war es nicht einfach, ein so beliebtes Mädchen wie
Scharka allein anzutreffen.
Doch als sie vor
Scharkas Tür stand, hörte sie, wie die Stimme des Hunnen Gift in Scharkas Ohren
träufelte, um ihre beider Freundschaft zu zerstören. Seine Drohung machte ihr
endgültig klar, dass sie in diesem Volk stets eine unerwünschte Fremde bleiben
würde. Warum sich durch eine Geständnis in Schwierigkeiten bringen? Sobald
Scharka mit Mnata gesprochen hätte, konnte sie damit rechnen, auf ein Pferd
gesetzt und wieder nach Regensburg geschickt zu werden.
Dann sollte es
eben kommen, wie es kommen musste. Sie würde einfach nur zusehen und hoffen,
dass sich alles zu ihrem Vorteil entwickelte.
8
Als Libussa die vertrauten Umrisse
der Mauer von Chrasten vor sich sah, stiegen Erinnerungen an ihre Kindheit in
ihr auf. Die stolze, herrische Stimme ihrer Mutter drang wieder an ihr Ohr..
Sie spürte Kvetas wärmende Umarmung. Die Kindsmagd war kurz nach dem
Frühlingsfest gestorben, und Libussa sehnte sich nach dem vertrauten Körper,
der ihr so oft Trost geschenkt hatte. In den letzten Monaten tauchten längst
vergessene Erlebnisse immer häufiger in ihrem Bewusstsein auf, als solle sie
daran erinnert werden, wie ihr Leben verlaufen war. Premysls mittlerweile von
Falten gezeichnetes Gesicht nahm immer wieder jene spöttischen Züge an, vor
denen sie sich einst gefürchtet hatte, doch die nun ihr Herz erwärmten. Ihre
Kinder waren zu erwachsenen Menschen herangewachsen. Lidomir war schon immer
ernst und nachdenklich gewesen, und Scharka neigte weiterhin zu übermäßiger
Empfindsamkeit. Es tat gut, geliebte Menschen in ihrer Nähe zu wissen.
Selbst die ersten Strahlen der Morgensonne in ihrer finsteren Kammer und den
Duft frischer Blumen genoss Libussa neuerdings in vollen Zügen. Es kam ihr vor,
als sollte sie zu schätzen lernen, was sie eines Tages verlieren würde . Sie verdrängte diesen düsteren Gedanken
und ritt entschlossen weiter. Gemeinsam mit den Kriegern, die sie begleiteten,
wurde sie am Tor von Chrasten empfangen, doch die Stimmung war gedrückt. Das
erinnerte sie an eine Heimkehr vor langer Zeit, damals, als sie vom Tod ihrer
Mutter erfuhr.
Krok lag auf
seiner Bettstatt. Sein Gesicht war eingefallen, als hätte er lange hungern
müssen. Jeder seiner Atemzüge wurde von einem Röcheln begleitet, das in dem
stillen Raum unerträglich laut schien.
„Du hast nach mir
schicken lassen, Onkel", flüsterte Libussa.
Seit dem Feldzug
gegen die Awaren war ihr Onkel nicht mehr der starke, entschlossene Mann von
einst gewesen. Der Angriff gegen jenes Volk, das in seinem Denken stets ein
gefürchteter Feind gewesen war, musste etwas in ihm zerbrochen oder seine
Kräfte aufgezehrt haben. Angeblich suchten die Awaren nun Verbündete unter
anderen heidnischen Völkern, um mit deren Hilfe den Frankenkönig zu besiegen.
Doch Krok hatte diesem ein Versprechen gegeben, um Lidomirs Heimkehr zu
ermöglichen. Er würde es niemals brechen.
„Ich bin froh,
dass du gekommen bist, Libussa. Wie du sehen kannst, lassen meine Kräfte nach.“
Seine Stimme klang heiser und er hustete.
Libussa schnürte
es vor Beklemmung fast die Kehle zu. Vielleicht war es erträglicher, unerwartet
vom Tod eines geliebten Menschen zu erfahren denn ihn langsam dahinsiechen zu
sehen.
„Auch
Thetka, Vlasta und alle anderen Mitglieder unserer Familie sollten kommen. Vor
allem Kazi. Warum hast du nicht nach ihr geschickt? Sie könnte dir helfen.“
Krok hob abwehrend
die Hand.
„Auch eine gute
Heilerin kann die Zeit nicht aufhalten. Ich bin ein alter Mann geworden. Die
Ahnen rufen mich. Bald schon werde ich wieder bei deiner Mutter sein.“
Er röchelte, und
Libussa strich hilflos über sein graues Haar. Seltsam, sie konnte sich kaum
erinnern, welche Farbe es früher gehabt hatte.
„Die Lebenden
brauchen dich noch, Onkel. Manche Menschen werden sehr, sehr alt.“
Er tat mühsam ein
paar Atemzüge. „Meine Zeit läuft ab. Das weiß ich. Ich will mich nicht dagegen
wehren. Es hätte keinen Sinn. Die Anderen ...
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