Die Träume der Libussa (German Edition)
erleichtert, als Krok sein
Gesicht abwandte.
„Ich brauche nun
etwas Ruhe, Libussa. Versammle die Mitglieder des Clans, so wie du es versprochen
hast.“
Leise trat sie
aus dem Raum. Der Schmerz raubte ihr die Kraft, und sie musste Halt an der
Holzwand suchen. In ihr spürte sie eine Leere, als habe der Schreck alle
Gedanken ausgelöscht bis auf einen, der ihr ungeheuerlich schien: Krok, der sie
von Kindheit an begleitet, zurechtgewiesen und nicht selten bevormundet hatte,
würde sterben. Es war, als stürze ein Gebäude ein, in dem sie stets hatte
Schutz suchen können, wenn das Leben ihr übel mitspielte.
Sie fühlte sich
wie ein von der Gemeinschaft verstoßenes Kind, allein und wehrlos den Gefahren
der Welt ausgesetzt. Doch sie musste sich zusammenreißen. Krok sollte ihren
Schmerz und ihre Angst nicht spüren, denn sonst könnte er nicht in Ruhe seinen
Weg ins Totenreich antreten. Er sollte wissen, dass er sich auf sie verlassen
konnte.
„Warum darf ich nicht mitkommen?“,
fragte Radegund verärgert, als Lidomir ihr seine Reise nach Chrasten
ankündigte.
„Es ist eine
Versammlung der engsten Mitglieder des Clans. Krok geht es nicht gut. Meine
Mutter fürchtet, er könnte nicht mehr genesen. Deshalb muss die Nachfolge
geregelt werden", murmelte er, ohne sie anzusehen.
„Aber ich bin
deine Frau. Gehöre ich nicht zu deiner Familie?“, beharrte sie.
Lidomir wich
ihrem Blick noch immer aus. "Du bist meine Gefährtin und niemand hat etwas
gegen deine Anwesenheit hier, doch das macht dich nicht zum Mitglied des
engsten Kreises. Es tut mir leid, Radegund. Onkel Krok ist streng in diesen
Dingen.“
„Er mag mich
nicht, weil ich Fränkin und Christin bin", zischte sie bitter. „Premysl
kommt doch auch mit!“
Endlich hob
Lidomir den Kopf. Er sah erschöpft und unglücklich aus.
„Männer gehören
zum Clan ihrer Gefährtin, wenn sie lange mit ihr zusammengelebt haben, aber
umgekehrt ist das nicht üblich. Krok hat sehr starre Vorstellungen. Meine
Mutter wäre nicht so streng. Aber der alte Mann liegt im Sterben, und seine
Wünsche sollten befolgt werden.“
Radegund
verabschiedete ihn kühl, doch sie war sich nicht sicher, ob er ihre Kälte
überhaupt wahrnahm. Wieder einmal hatte er ihr klargemacht, dass er im
Zweifelsfall auf der Seite seiner Familie stand.
Einige Tage lang
kam ihr Praha leer vor. Radegund ging nur ein einziges Mal in die Kammer, wo
die jungen Frauen Kleider anfertigten. Sie spürte misstrauische Blicke in ihrem
Rücken und verlegenes Schweigen aufgrund ihrer Anwesenheit. Keine der Frauen
außer Scharka mochte sie, wie ihr mit einem Mal klar wurde. Doch wie lange
konnte sie auf Scharkas Freundschaft vertrauen, wenn Mnata ihr feindselig
gesinnt war?
Manchmal sehnte
sie sich sogar nach dem Kloster zurück, wo sie wenigstens keine Fremde gewesen
war. Mit Anahild an ihrer Seite hatte sie sich niemals derart verloren gefühlt.
In den endlosen Stunden, die sie in ihrer Kammer verbrachte, war Frederik die
einzige Erleichterung. Er unterhielt sie weiterhin mit Erzählungen von seiner
Reise durch die Dörfer der Behaimen, wobei immer wieder Tschastawas Name fiel.
Die dunkle Schönheit hatte es ihm angetan. Es war am dritten Tag nach Lidomirs
Abreise, dass Frederiks Redefluss unerwartet durch ein Klopfen an der Tür
unterbrochen wurde und Gundolfs große Gestalt trat unaufgefordert herein.
„Ich habe mit dir
zu reden, Clothards Tochter.“
Sie nickte. Der
Mönch suchte nach einer Sitzgelegenheit und ließ sich nach einigem Zögern auf
der Bettstatt nieder. In ihrer Heimat wäre dies anstößig gewesen, doch hier
waren solche Regeln unwichtig geworden.
„Der alte Heide
liegt im Sterben. Gott hat uns in seiner Allmacht den Weg geebnet",
verkündete Gundolf.
„Sollte man nicht
für die Seele dieses Mannes beten?", kam es leise von Frederik.
"Ich weiß, er weigert sich, den wahren Glauben anzunehmen, aber dennoch
erscheint er mir tapfer und anständig. Er hat an dem Feldzug gegen die Awaren
teilgenommen."
Radegund fühlte
sich in zwei Teile gerissen, denn sie konnte nicht leugnen, dass der junge
Mönch die Wahrheit sprach. Gleichzeitig grollte sie Krok wegen seiner
Weigerung, sie am Treffen der Mitglieder des Clans teilnehmen zu lassen.
Doch Gundolf
erlöste sie aus ihrer Unentschlossenheit: „Gott wird entscheiden, wie mit seiner
Seele zu verfahren ist. Uns Sterblichen steht darüber kein Urteil zu."
Nach einer Weile fuhr er fort:„Doch wir können unseren Beitrag dazu
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