Die Träume der Libussa (German Edition)
selbst zu sterben, um sie vor Schaden zu
bewahren.
Sie regte sich
langsam und streckte schlaftrunken ihre Hände nach ihm aus. Von seinem braunen,
vom Umgang mit Waffen hart gewordenen Körper mit den vielen Narben konnte sie
nie genug bekommen. Auch das begriff er nicht. Zunächst hatte Mnata Angst
gehabt, sie zu berühren, denn sie schien ihm zu zerbrechlich, doch mit der Zeit
verlor er seine Scheu. Nur ein Mensch, der niemals misshandelt oder verletzt
worden war, konnte sich so frei von jeder Furcht den Berührungen eines anderen
überlassen, wie Scharka es tat.
„Radegund scheint
sich endlich bei uns wohl zu fühlen", sagte sie eine Weile später
versonnen.
„Warum ist es dir
so wichtig, wie die Fränkin sich fühlt?“ Er wusste, dass diese Frage
überflüssig war. Scharka sorgte sich stets um Menschen, die nicht glücklich
schienen.
„Sie lebt jetzt
bei uns. Mein Bruder hängt an ihr. Deshalb ist es wichtig. Ich verstehe einfach
nicht, was ihr, mein Vater und du, gegen Radegund habt.“
Mnata spürte
wieder sein Unbehagen, aber konnte ihre Frage eigentlich nicht beantworten. Es
war nur eine ungute Ahnung.
„Viele Menschen
machen in ihrem Leben Schweres durch. Ich glaube, sie hat auch gelitten. Das
hat sie misstrauisch und berechnend gemacht.“
Scharka lächelte.
„Du willst sie einfach nicht mögen, weil sie Christin ist. Aber dafür kann sie
doch nichts. In letzter Zeit hat sie sich benommen wie eine Frau aus unserem
Volk“, meinte sie gähnend.
„Auch das kann
Täuschung sein. Sie hat Lidomir dazu gebracht, christliche Mönche hierher
kommen zu lassen. Da bin ich mir sicher.“
Scharka streckte
sich. „Als Fränkin hat sie einen anderen Glauben, sie wollte ihre Priester bei
sich haben. Was ist schlimm daran?“
„Du vertraust den
Menschen zu sehr“, flüsterte er. „Nicht jeder ist so offen und ehrlich wie du.
Hast du jemals daran gedacht, dass diese Radegund vielleicht gern an deiner
Stelle wäre als zukünftige Fürstin? So, wie sie dich manchmal angesehen hat, da
schien sie mir bitter vor Neid.“
Nun blickte
Scharka ihn ungläubig an. „Sie hat einen Mann, der sie liebt, und ein
angenehmes Zuhause. Warum sollte sie sich mehr wünschen? Fürstin zu sein ist
eine schwere Aufgabe. Ich habe oft gesehen, wie bedrückt und erschöpft meine
Mutter war, und wünschte mir dann, nicht als ihre Nachfolgerin auf die Welt
gekommen zu sein. Mir würde ein friedliches Leben mit dir genügen.“
Mnata richtete
sich auf. „Du musst dafür sorgen, dass die Verhältnisse hier so bleiben, wie
sie sind. Niemand wäre eine bessere Nachfolgerin Libussas als du, vergiss das
nicht. Du hast ihren Sinn für Gerechtigkeit und den Glauben, dass Menschen gut
sein können, wenn man sie lässt. Sollte diese Radegund dich verdrängen, dann
wird sie auch dir kein friedliches Leben mehr gönnen, darauf kannst du dich
verlassen!“
Scharkas
verwirrtes Gesicht machte ihm klar, dass er zu viel gesagt hatte. Warum plagten
ihn, wenn er aus seinen schlechten Träumen erwacht war, so oft düstere Bilder
von der Zukunft? Er hatte kein Recht, Scharka damit zu erschrecken.
„Es ist schon
gut. Ich habe übertrieben", murmelte er und schloss sie in die Arme. „Aber
bei dieser Fränkin habe ich kein gutes Gefühl. Der ältere Mönch gefällt mir
auch nicht. Er tritt so herrisch auf. Wenn ich dahinterkomme, dass die beiden
etwas planen, dann wird auch ihr Christengott sie nicht vor mir schützen können!“
Er hatte laut
gesprochen, dennoch hörte er plötzlich ein Geräusch vor der Tür. Leises,
rasches Schlurfen von Schritten, die sich im Gang entfernten. Mit einem Satz
sprang er zur Tür und riss sie auf. Das Schwert war wie von selbst in seine
Hand geflogen. Doch er sah nichts als einen leeren Flur vor sich.
„Mnata, was ist
denn los?“ Scharka starrte fassungslos auf das Schwert in seiner Hand.
„Da war jemand
vor der Tür, der uns belauschte.“
Scharkas Blick
war besorgt, doch schien diese Sorge ihm zu gelten.
„Du bildest dir
Dinge ein, Mnata. Ich habe nichts gehört.“
Er widersprach
nicht, sondern legte sich wieder an ihre Seite. Doch er wusste, was er gehört
hatte. Er war ein Kind der Steppenkrieger, die keine sicheren Festungen kannten
und mit steter Gefahr von unerwarteten Angriffen leben mussten.
Jemand hatte vor
der Tür gestanden.
Radegund flüchtete mit klopfendem
Herzen in ihre Kammer, wo Lidomir weiterhin friedlich schlief. Er hatte ihre
Abwesenheit nicht bemerkt. Erleichtert rollte
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