Die Träume der Libussa (German Edition)
überraschte mich mit ihrer Antwort. Die Götter, denen sie dient,
sind wie die Kräfte der Natur, sagte sie. Sie lenken den Lauf der Welt, wo der
Tod und neues Leben in einem endlosen Kreislauf aufeinander folgen. Dabei
werden Schwächere oft als Erste vernichtet. Indem sie hilflose Wesen rettet,
lehnt sie sich gegen diese Härte auf.“
„Und?“, kam es
unbeeindruckt von Gundolf.
„Ich erzählte ihr
von der Botschaft Jesu, der sich ebenfalls für die Wehrlosen einsetzte, und von
unserem Gott, der die Schwachen mehr liebt als die Starken. Sie hörte mir
staunend zu. Offenbar hatte ihr noch niemand unseren Glauben so erklärt.“
„Ich bin mir
sicher, die alte Hexe wird sich bald taufen lassen", meinte Gundolf, und
Radegund musste ungewollt auflachen. Es gab kaum eine Frau unter den Behaimen,
bei der ihr das unwahrscheinlicher schien. Libussa und Scharka hätten auch
liebenswürdige Nonnen werden können, wären sie in einem anderen Volk zur Welt
gekommen. Doch allein aus Kazis Blick sprach das uralte, in den Kräften der
Natur verwurzelte Denken der Heiden. Natürlich hatte sie Frederik zugehört. Es
störte sie nicht, wenn jemand von einem anderen Glauben erzählte. Vielleicht
war sie sogar neugierig gewesen, mehr über das Christentum zu erfahren. Doch
ihre eigene Überzeugung könnte kein Missionar dieser Welt erschüttern, selbst
wenn er mit Engelszungen spräche.
Frederick
widersprach: „Kazi ist zu alt, ebenso wie Krok. Mir scheint, dass das Denken
alter Menschen allmählich versteinert. Sie können keine neuen Vorstellungen
mehr aufnehmen. Wir müssen es bei den Jüngeren versuchen. Kazis Tochter
Tschastawa führte mich zu einer kranken Dienerin, die angeblich ihre leibliche
Mutter ist. Diese Frau war lange Sklavin. Sie hat ein elendes Leben hinter
sich. Ich erzählte ihr, dass unser Jesus Menschen ihrer Art als Erste in seinem
Himmelreich empfangen wird. Ich glaube, sie verstand mich. Ihre Augen leuchteten.
Und Tschastawa war beeindruckt.“
Frederik strahlte
vor Glück. War Tschastawa von seinen Worten ebenso beeindruckt gewesen wie er
von ihrer Erscheinung?
„Das Mädchen wird
kaum den Mut finden, sich gegen die Erwartungen ihres Volkes zu stellen",
wandte Gundolf ein. „Zunächst verbreitet die Botschaft des Herrn sich unter dem
einfachen Volk, doch es muss viel Zeit vergehen, bis sie auch die Mächtigen
erreicht. Dieser Weg ist unsicher und langwierig. So lange dürfen wir nicht
warten. Wir werden Anhänger unter den Herrschern dieses Volkes finden. Sobald
diese getauft sind, werden sie ihre Untertanen dazu bringen, ihrem Beispiel zu
folgen. Auf diese Weise wird sich der einzig wahre Glaube rasch verbreitet, und
wir bewahren die Seelen der einfachen, tumben Leute, die es nicht besser
wissen, vor ewiger Verdammnis.“
Die Worte glitten
geschmeidig in Radegunds Ohr. Es klang, als läge Gundolf das Wohl der Behaimen
am Herzen. Wenn sie eines Tages an Lidomirs Seite Fürstin wäre und Anahild die
Äbtissin des ersten Nonnenklosters in Praha, dann könnte sie gemeinsam mit der
Schwester dafür sorgen, dass man mit den eingefleischten Heiden nicht zu hart
verfuhr. „Aber wie willst du die Mächtigen für dich gewinnen, Gundolf?“,
mischte sie sich erstmals ins Gespräch. „Libussa hängt an der alten Religion,
ebenso wie alle Mitglieder ihrer Familie.“
Gundolf nickte.
„Du nanntest mir die Namen von Männern, die sich nicht länger von einem Weib
Vorschriften machen lassen wollen. Ich weiß, was ich ihnen erzählen werde.
Dragoweills Sohn Woynimir, Fürstenkind der Wilzen, wuchs ebenfalls als Geisel
im Frankenreich auf. Nun beteiligte er sich an dem neuen Feldzug gegen die
Awaren. Es gelang ihm, ihren Ring zu finden, einen kostbaren Schatz, der ihn zu
einem angesehenen Mann machen wird. Auch der Tudun, ein Untergebener des
Khagans, hat sich nun taufen lassen, da er die Schwäche seines Herrschers
erkannte. Er erhielt kostbare Geschenke als Entlohnung und kann weiter Macht
ausüben. Vor den Angriffen unseres Königs ist er als Christ geschützt. All
diese Tatsachen kann ich diesen Unzufriedenen schildern. Außerdem erweist sich
König Karl denen gegenüber großzügig, die sich auf unsere Seite schlagen.“
Sie schwieg, da
es nichts mehr zu sagen gab.
Krok, der große, finstere Mann, war
gestorben. Radegund stand inmitten der fürstlichen Clans, die zur Totenfeier
gekommen waren, und musterte das riesige Holzgerüst, das vor dem Schrein der
Götter aufgebaut worden war. Man hatte es
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