Die Träume der Libussa (German Edition)
erschleicht. Im Schwertkampf würde er gegen
dich verlieren, Vlasta, auch wenn du eine Frau bist. Ich weiß, darauf bist du
stolz. Aber glaube nicht, dass du deshalb sicher vor ihm bist.“
Vlasta sank auf
einen Schemel. Ihre Augen funkelten zornig, doch sie widersprach nicht.
„Es gibt einen
Grund, warum dieser Gundolf Angst vor den Awaren auslösen wollte", fuhr
Premysl fort. „Vielleicht möchte er uns alle verunsichern. Ein Volk, das in
Angst lebt, ist für die verrücktesten Botschaften empfänglich. Es ist möglich,
dass er vorhat, uns den Schutz des Frankenkönigs vor den Überfällen des Khagans
anzubieten.“
„Das würde
bedeuten, ein Übel gegen ein anderes auszutauschen", meinte Vlasta. Hedwig
nickte.
„Die Angst vor
den Awaren würde kaum Christen aus uns machen. Wir haben zu lange mit ihr
gelebt und fürchten die Franken nicht minder", grübelte Premysl weiter.
„Ich denke, Gundolf ist schlau genug, das zu wissen. Es muss um etwas anderes
gehen, das unser ganzes Gemeinwesen betrifft. Er will es untergraben, indem er
Misstrauen gegen jemanden sät, auf den sich unsere Hoffnungen richten. Man kann
einen Bienenstock nur zerstören, indem man die Königin tötet.“
„Du hast Angst um
Libussa!“, rief Mnata erschrocken, doch Premysl schüttelte den Kopf.
„Gegen sie kommt
er mit allen Gerüchten der Welt nicht an. Sie herrscht schon zu lange und
genießt das Ansehen von Leuten aus allen Clans und Stämmen. Es ist einfacher,
jemanden anzuschwärzen, der sich erst beweisen muss und zudem nicht als
Mitglied unseres Volkes geboren wurde.“
Mnatas Herzschlag
setzte einen Augenblick aus, als ihm der Sinn dieser Worte klar wurde. „Es war
niemals meine Absicht, Stammesführer zu werden. Vielleicht wäre es unter den
gegebenen Umständen besser, jemand anderen zu wählen", erklärte er
sogleich.
„Wir lassen uns
nicht von irgendwelchen Christen einschüchtern und vorschreiben, wen wir zu
Kroks Nachfolger machen!“, rief Vlasta entschieden. Premysl musterte sie
stirnrunzelnd.
„Mit Dickköpfigkeit
allein gewinnt man in keinem Spiel, geschweige denn im Kampf, Vlasta. Du
urteilst oft zu schnell", ermahnte er sie. Wieder gab sich Vlasta
widerwillig geschlagen.
„Unter den
gegebenen Umständen wäre es vielleicht vernünftig, jemand anderen zu wählen und
Gundolfs Plan dadurch zu untergraben", fuhr Libussas Gefährte fort. „Aber
es gibt außer Mnata keinen jungen Mann, der in Frage käme. Lidomir scheint mir
leider nicht vertrauenswürdig wegen seiner Fränkin. Außerdem beherrscht er das
Kriegshandwerk nicht ausreichend. Ein Stammesführer ist in erster Linie für die
Vorbereitung und Durchführung von Kämpfen zuständig. Krok hatte gute Gründe,
den älteren, angenommenen Sohn Libussas vorzuschlagen.“
Mnata senkte
ergeben den Kopf. „Sollte die Wahl auf mich fallen, nehme ich das Amt an.“
Niemand
widersprach.
„Doch als
Nächstes müssen wir überlegen, woher Gundolf überhaupt wusste, wer unser
zukünftiger Stammesführer werden soll", machte Premysl auf eine Tatsache
aufmerksam, die offensichtlich schien und doch allen anderen in der Aufregung
entgangen war.
„Heute auf dem
Marktplatz, da…da hörte Scharka, wie jemand schlecht über mich redete, weil ich
ein geborener Awar bin. Sie wurde wütend …“
„… und hat das
Geheimnis verraten. Scharka wird noch einiges lernen müssen, wenn sie Fürstin
ist. Doch Gundolf muss es bereits vorher gewusst haben, denn er hatte das
Gerücht durch die Händler in Umlauf setzen lassen, eben damit es zu
Anfeindungen gegen dich kommt", erklärte Premysl.
„Als wir an Kroks
Krankenlager versammelt waren, da wurden sogar die treuesten Dienstboten
hinausgeschickt", murmelte Vlasta verwundert. „Wir sprachen alle im
Flüsterton. Es muss … bei Perun … es kann nur ein Mitglied unserer Familie
gewesen sein, das dieses Geheimnis verriet.“
Premysl nickte mit
betrübter Miene.
„Ich fürchte,
Lidomir hat mit seiner Fränkin gesprochen. Es geschah vielleicht nicht in böser
Absicht. Lebt man eng mit einer Frau zusammen, dann ist es schwer, Geheimnisse
vor ihr zu haben.“
Mnatas Magen
verkrampfte sich. Lidomir war als Fremder aus dem Frankenreich zurückgekehrt,
aber mittlerweile ähnelten seine Gefühle für den jungen Mann jener Zuneigung,
die er ihm einst als kleinem Kind entgegengebracht hatte. Von den Christen zu
einem weltfremden Grübler erzogen, hatte Lidomir trotzdem Ausdauer und
Entschlossenheit gezeigt, als es galt, den
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