Die Träume der Libussa (German Edition)
wirklich einen Vorwurf daraus
machen, denn offen gesagt kann ich Männer auch nicht besonders leiden. Doch
bezeichne ich meine Eigenart nicht als Weisheit, mit der ich den Rest der Welt
plage. Premysl sagte, du solltest dich kurz fassen. Aber das kannst du wohl
nicht. Ich weiß nicht, was du überhaupt kannst, denn als Redner bist du ein
ebensolcher Versager wie als Krieger.“
Nun war die
allgemeine Aufmerksamkeit wieder auf Vojen gerichtet. Ein paar Lacher
erklangen. In den hinteren Reihen wurde zustimmend geklatscht.
„Schweig,
Weib!“, zischte Vojen nicht besonders laut, doch da die meisten Gespräche
verstummt waren, wurde er verstanden. „Die Christen wissen, was sie von einer
wie dir zu halten haben. Eine böse Zauberin, das bist du, die mit dunklen
Mächten in Verbindung steht. Bei ihnen wärest du schon längst angeklagt und
mundtot gemacht worden.“
Kaum hatte er
diese Worte ausgesprochen, wich er ein paar Schritte zurück, als hätte er Angst
vor der eigenen Dreistigkeit.
Entsetztes
Schweigen war eingetreten, denn die Heilerin war im Volk sehr angesehen.
Libussa krallte ihre Finger um das Holz der Tafel. Der große Saal schien sich
zu verdunkeln. Sie sah das Funkeln in den Augen ihrer Schwester und den harten
Zug um ihren Mund. Kazi musste zorniger sein als jemals zuvor in ihrem Leben.
„Tu es nicht!“,
flüsterte Libussa. „Bitte Kazi! Ein freundliches Wort von dir an deinen Sohn,
und dieser ganze Spuk wäre vorüber. Er ist doch nur ein dummer, unglücklicher
Junge!“
Aber Kazi
richtete bereits ihren Zeigefinger auf Vojen.
„Verflucht sei
der Tag, da du aus meinem Leib gekrochen bist", verkündete sie laut. „Es
war nicht die große, leuchtende Mokosch, die dich mir schenkte, sondern ein
heimtückischer Geist des Waldes muss jenes Kind, auf das ich sehnsüchtig
wartete, gegen eine missratene Kreatur vertauscht haben. Wer die Mutter mit Schmach
belegt, hat in ihrem Hause kein Heim mehr. Verbannt seist du aus meiner Hütte
und meinem Stamm. Niemand soll mehr ein Wort mit dir wechseln, denn für die
Leute deines Volkes bist du nun ein Fremder, ein Ausgestoßener für den Rest
deines Lebens. Fortan wirst du bei uns den Namen Nezamysl tragen, jener, der
sprach ohne nachzudenken, und das bis zu dem Tag, da der Letzte hier dich
vergessen hat.“
In der
eingetretenen Stille schien Libussa ihr eigener Herzschlag unerträglich laut.
Bleiche, erschrockene Gesichter sahen Kazi und Vojen an. Sogar Slavonik hatte
seine spöttische Miene aufgegeben. Mit dem Fluch der Mutter belegt zu werden
gehörte zu den schlimmsten Strafen, denn dem Ausgestoßenen blieb nur noch, in
die Wildnis des Waldes zu flüchten.
Der Junge sah
aschfahl aus. Er hielt sich an der Lehne eines Stuhles fest, der von dem
Zittern seiner Hände leicht bebte. Doch er nahm das Urteil an und wandte sich
zur Tür, um wie ein geschlagener Hund hinauszuschleichen.
Da hörte man
auf einmal ein Schwirren, das durch die Luft schnitt, und Kazi sank in die
Knie. Ihre Finger umklammerten den Pfeil, der in ihrer Brust steckte, und
zerrten daran. Auf ihrem Gewand erschien ein roter Fleck, der immer größer
wurde, bis das Blut auf dem Fußboden eine Lache bildete. Bis zum letzten
Augenblick, da das Leben aus dem Körper der Heilerin wich, stand ihr die Wut
ins Gesicht geschrieben.
Libussa meinte,
der Lauf der Zeit hätte sich verlangsamt. Jeder Augenblick schien Stunden zu
dauern, während sie nur fassungslos auf ihre ältere Schwester starrte, ohne
glauben zu wollen, dass all dies wirklich geschah.
Die Umstehenden
streckten die Hände nach Kazi aus. Sie wurde hochgehoben und auf die Tafel
gelegt. Tschastawas Finger tasteten am Hals der alten Frau nach dem
pulsierenden Strom des Lebens. Ihr entsetzter Aufschrei hallte durch den Saal.
„Sie ist tot!
Kazi ist tot!“
Vojen, der noch
an der Tür stand, drehte sich um. Seine Augen waren weit aufgerissen, und er
blieb versteinert stehen wie alle Anwesenden, als hätte ihn ein Fluch getroffen.
Libussa schloss
kurz die Augen. Vielleicht war alles nur ein böser Traum, aus dem sie bald
erwachen würde.
Die Tür zum
großen Saal öffnete sich schwungvoll. Ein großer Mann in einer braunen Kutte
trat ein und ging mit ruhigen Schritten in die Mitte des Saales.
„Gott der Herr
ist allmächtig. So straft er eine böse Zauberin", donnerte die Stimme des
alten Mönchs. Ängstliche Schreie erklangen, und einige Leute riefen entsetzt
die vertrauten Götter um Hilfe an.
Libussa spürte
den Druck einer
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