Die Träume der Libussa (German Edition)
Prügel zu verpassen?
„Vojen hat
seine Schuld gestanden. Doch dies erwähnte er nicht", sagte Scharka und
strich über Mnatas Arm, als könnte sie seine Wut spüren.
„Weil er Angst hatte",
zischte Mnata. Zu seinem Staunen schüttelte Libussa den Kopf.
„Er weiß, dass
er den Tod seiner Mutter mit verschuldet hat. Dies ist eine schlimmere Strafe
als alles, was wir ihm antun können. Ich glaube, wenn er Gundolf geraten hätte,
mit Slavonik und Neklan zu reden, hätte er uns das erzählt.“
Niemand
widersprach ihr, auch wenn Premysl ein skeptisches Gesicht machte. Ebenso wie
Mnata misstraute er wohl der heilsamen Wirkung von Vojens Schuldgefühlen,
glaubte aber nicht, dass der Junge noch etwas verschwieg.
„Und wer soll
es dann gewesen sein?“, sprach Vlasta jene Frage aus, die alle beschäftigte,
doch niemand wusste eine Antwort.
Thetka klagte
über die Grausamkeit der Götter, die Kazi einen Sohn wie Vojen geschenkt
hatten. Schweigend und mit verkrampftem Gesicht ertrug Vlasta die
Gefühlsausbrüche ihrer Mutter. Das Gespräch drehte sich im Kreis, Worte fielen,
wurden von anderen aufgriffen und herumgedreht. Mnata schien es, als hätten
alle Anwesenden Angst, die Versammlung zu beenden, ohne zu einer Erkenntnis
gekommen zu sein. Sie fürchteten die Einsamkeit des Augenblicks, da man auf
seiner Bettstatt die Augen schloss und vergeblich auf erlösenden Schlaf
wartete. Unermüdlich trugen die Mägde neue Weinkrüge herein, auch nachdem sie
das unberührte Essen abgeräumt hatten. Premysl fuhr sich immer wieder mit der
Hand durch das angegraute Haar und warf besorgte Blicke auf seine
niedergeschlagene Gefährtin.
Es herrschte
bereits tiefste Nacht. Die Fensteröffnungen waren abgedeckt worden, um den
ersten Frost am Eindringen zu hindern. Als die Tür sich nochmals öffnete,
hoffte Mnata, die energische Hedwig würde hereinkommen und Libussa vorschlagen,
sich auszuruhen.
Doch es war
Tschastawa. Sie hatte sich in eine Wolldecke gewickelt, und ihre Augen waren
vom Weinen verquollen. Mnata erinnerte sich an das winzige braune Wesen auf dem
Karren der Sklavenkolonne. Zwar wuchs Tschastawa an der Seite der Frau auf, die
sie geboren hatte, doch die neue Heimat und ein Leben in Würde hatte Kazi ihr
geschenkt.
Das Mädchen
blieb in der Türöffnung stehen. Sie zog hartnäckig irgendetwas hinter sich her,
bis schließlich eine weitere Gestalt erschien. Ein junger Bauer in den
Beinkleidern und dem bestickten Hemd der Behaimen. Mnata brauchte eine Weile,
um das vertraute Gesicht zuordnen zu können, so sehr war er es gewöhnt,
Frederik in seiner braunen Kutte zu sehen.
„Er hat euch
etwas zu sagen. Ihr sollt wissen, dass er freiwillig zu mir kam",
verkündete Tschastawa. Frederiks Gesicht war weiß wie frisch gefallener Schnee.
Sein Körper bebte.
Der Weinkrug
fiel aus Radegunds Hand. Die Farbe ihrer Wangen glich dem roten Fleck, der sich
auf ihrem kunstvoll bestickten Gewand ausbreitete.
Frederik stand
stumm da.
„Erzähle, was
du weißt. Ich schwöre, dir wird nichts geschehen", drängte Tschastawa.
Frederik begann
zu reden, haspelnd in der ihm fremden Sprache.
„Es war alles
abgesprochen. Mit Slavonik und Neklan und ein wenig auch mit Vojen, doch dem
erzählte Gundolf nicht alles. Er sagte, schwachen Menschen sei nicht zu
trauen.“
„Was war
abgesprochen?“, rief Mnata und sprang auf. Seine Hand hob sich wie von selbst
und umschloss den Hals des mageren, blassen Knaben.
„Er ist
freiwillig gekommen!“, rief Tschastawa vorwurfsvoll. Mnata sah Frederiks
verängstigtes Gesicht und ließ ihn los. Es gab eine Zeit, da war er selbst ein
hilfloses Kind gewesen, das den Zorn starker, erbarmungsloser Männer fürchtete.
Der Junge
schnappte hustend nach Luft, doch dann erzählte er seine Geschichte. Gundolf
wollte Libussa absetzen, um einen Mann an die Macht zu bringen, auf den er
Einfluss hatte. Die Wahl schien unklar. Es hing davon ab, wie alles sich
entwickeln würde. Slavonik waren Versprechungen gemacht worden, doch Gundolf
hatte auch andere Männer in Erwägung gezogen. Falls Libussa zu energischen
Widerstand leistete, sollte sie sterben. Warum der Schütze die Heilerin getötet
hatte, wusste Frederik nicht genau. Vielleicht sei es ein Versehen gewesen oder
eine Verwechslung? In seinem Beteuern, er habe Kazis Tod nicht gewollt, klang
er ebenso wehleidig wie Vojen.
„Wer hat den
Pfeil abgeschossen?“, unterbrach ihn Premysl.
„Ein
fränkischer Krieger, der mit Slavoniks Gefolgschaft in die
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