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Die Träume der Libussa (German Edition)

Die Träume der Libussa (German Edition)

Titel: Die Träume der Libussa (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tereza Vanek
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Hand an ihrer Schulter. „Der Pfeil muss durch eine der
Fensteröffnungen gekommen sein", flüsterte Premysl ihr zu.
    Sie stützte
sich an der Kante der Tafel ab, um aufstehen zu können. Ihr war, als hätte sie
sich aus ihrem Körper entfernt, denn obwohl der Schmerz brannte wie ein
Feuerball, quälte er sie nicht länger.
    „Das war keine
göttliche Strafe, sondern Mord! Geht schnell hinaus und sucht nach dem
Schützen, der den Pfeil abgeschossen hat. Er muss sich im Hof der Festung
befinden", rief sie so laut sie konnte.
    Dann kam ein
neuer Sturm auf, der alle Anwesenden nach draußen fegte. Premysl schloss sich
ihnen an. Libussa blieb zurück und starrte auf den blutigen Leichnam ihrer
Schwester. Noch hatte die Totenstarre das vertraute Gesicht nicht in eine
fremde Maske verwandelt. Kazi sah aus, als könnte sie jeden Augenblick
aufstehen und über all den Irrsinn, der soeben stattgefunden hatte, verärgert
den Kopf schütteln.
    „Kein Abschied
ist für ewig, Schwester", murmelte Libussa. „Doch ich dachte nicht, dass
du vor mir ins Totenreich gehen würdest.“
    Plötzlich drang
Schluchzen an ihr Ohr. Vojen sank neben seiner toten Mutter zu Boden.
    „Er hat nicht gesagt, dass er sie
umbringen wird. Er wollte die Herrschaft der Männer einführen, so wie es bei
den Christen Sitte ist“, stammelte er und rang nach Luft, während er die Tränen
abwischte und ein neuer Weinkrampf seinen Körper erzittern ließ. „Er sagte,
dass ... dass wenn die Männer herrschen, die Mutter meinen Schutz brauchen
würde. Dann hätte sie mich endlich anerkannt und geschätzt. Aber dass er sie
umbringt, das hat er nicht gesagt, das hat er niemals gesagt!“
     
    Sie waren in einem kleinen
Nebenraum versammelt. Die Mägde hatten Essen hereingebracht, das niemand
anrühren wollte. Mnata nahm einen tiefen Schluck Wein. Eigentlich schätzte er
berauschende Getränke nicht, da sie die Reaktionen des Körpers verlangsamten
und den Verstand betäubten, doch nun empfand er die allmähliche Trübung seiner
Sinne als befreiend.
    Vojen war
hinter Schloss und Riegel gesetzt worden. Er hatte gestanden, sich mit Gundolf
getroffen zu haben, weil er von ihm die Weisheit der Schriftgelehrten erfahren
wollte. Ihm war das Denken der Christen erklärt worden sowie die Schriften
einiger angesehener Männer aus Zeiten, da es noch keine Christen gegeben hatte.
Er sagte, dadurch habe er erkannt, dass Frauen in kaum einem anderen Volk als
gleichwertig betrachtet wurden. Eben das wollte er während der Versammlung
erklären. Nachdem Premysl ihm unablässig mit Fragen zusetzte und Mnata
gelegentlich drohend die Hand hob, gab er schließlich zu, dass sein Auftritt
mit Gundolf abgesprochen gewesen war. Er sollte die Versammelten gegen Libussa
aufhetzen, deren Absetzung der Mönch erreichen wollte. Weinend war Vojen
zusammengesunken, wiederholte immer wieder, er habe den Tod seiner Mutter nicht
gewollt. Mnata brannte es in den Fingern, ihm ein paar Ohrfeigen zu verpassen,
denn so wurden bösartige Kinder allgemein behandelt. Libussa hinderte ihn
daran. Erstaunlicherweise empfand sie Mitleid mit dem feigen Verräter.
    Nach Gundolf
suchten sie vergeblich. Er musste während des allgemeinen Aufruhrs gemeinsam
mit dem jungen Mönch verschwunden sein. Die Handwerker und Bediensteten
behaupteten, sie hätten ihn während der Versammlung um das Gebäude
herumschleichen sehen, aber ohne Pfeil und Bogen. Den Schützen hatte niemand
gesehen, doch es hielten sich stets Krieger in der Festung auf, so dass ein
bewaffneter Mann kaum Aufmerksamkeit auf sich gezogen hätte.
    Slavonik von
den Kroaten war abgereist. Er wünschte Libussa Erfolg bei der Aufklärung des
Mordes an ihrer Schwester, doch gab er sich nicht besondere Mühe, Beileid zu
heucheln. Neklan von den Lemuzi folgte seinem Beispiel, gemeinsam mit den
Führern einiger Stämme aus der Nachbarschaft, den Dekanern und den Sedlicani.
Radka und Lecho blieben in Praha, ebenso wie Jana von den Zlicani und Irina von
den Leitmeritzern. Sie wollten an der Bestattung Kazis teilnehmen.
    Nur der engste
Kreis des fürstlichen Clans der Tschechen war übrig geblieben, eine stille,
niedergeschlagene Runde. Trotz der wilden Suche im Hof der Festung und in ihrem
Umkreis hatte sich der Täter nicht gefunden. Nun erst, da sie zur Ruhe kamen,
erfasste sie allmählich der Schmerz. Kazis vertrautes Gesicht war für immer aus
ihrem Kreis verschwunden.
    Mnata ließ
seinen Blick über die Anwesenden schweifen. Premysl schien sich in

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